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: Die vielgestaltige Erkrankung Schizophrenie

Stimmen hören

Mit Hans Weingartners „Das weiße Rauschen“ und Ron Howards „A Beautiful Mind“ gibt es im Moment gleich zwei Filme, die eine schwere psychiatrische Erkrankung in ein größeres öffentliches Bewusstsein rücken: die Schizophrenie. Während es in „Das weiße Rauschen“ der 21-jährige Lukas ist, der nach einem Drogentrip Stimmen hört und sich verfolgt fühlt, erzählt „The Beautiful Mind“ die Lebensgeschichte des Mathematikers John Nash, der sich als junger Mann in einem von ihm geschaffenen Wahnsystem verfängt und schließlich die Diagnose Schizophrenie gestellt bekommt.

Der Begriff Schizophrenie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler geprägt. Er löste die Bezeichnung „Dementia praecox“ ab, mit der 1896 der Münchener Psychiater Emil Kraeplin das vielgestaltige Krankheitsbild erstmals zusammmenfasste. Landläufig als die Aufspaltung oder Zweiteilung der Persönlichkeit verstanden, meinte Bleuler mit Schizophrenie eine regelrechte Zersplitterung des Denkens, Wollen und Fühlens.

So ist das Denken bei Schizophrenen nicht logisch, sondern zerfahren. Im Extremfall artikulieren sie nichts Verstehbares, sondern nur unzusammenhängende Wörter und Wortreste und brechen ihre Rede manchmal mitten im Satz ab. Gedanken erleben sie als von anderen „gemacht“ oder als ihnen von außen entzogen. Ebenfalls charakteristisch: Wortneuschöpfungen, Sprachmanierismen, das Denken in Symbolen oder die Verschmelzung unterschiedlicher Sachverhalte.

Am bekanntesten dürften die Wahrnehmungsstörungen Schizophreniekranker sein, vor allem akustische Halluzinationen und der Verfolgungswahn. Schizophrene hören Stimmen und Geräusche wie Summen, Pfeifen oder Klopfen, und sie haben Angst davor, vergiftet zu werden. Weit seltener auch als die häufigen halluzinatorischen Körpermissempfindungen sind optische Halluzinationen, bei denen sich die Kranken angeblickt fühlen. Neben diesen psychischen Veränderungen bilden Affektstörungen eine wichtige Symptomgruppe: Gefühlsverarmungen, depressive Verstimmungen, mimische Regungslosigkeit, inadäquate Affekte wie Lachen in besonders traurigen Situationen.

So vielgestaltig die Symptomatik der Schizophrenie, so unterschiedlich die Systeme zur Diagnosefindung. Bleuler unterteilte in Grundsymptome und akzessorische Symptome, nach Schneider wiederum unterscheidet man Symptome ersten und zweiten Ranges. Inzwischen spricht man gerade hinsichtlich Therapie und Prognose von produktiver Symptomatik („Positivsymptomatik“) und verminderten Fähigkeiten („Negativsymptomatik“). Zur ersten gehören Halluzinationen und Wahnvorstellungen, zur zweiten die Gefühls- und Ausdrucksarmut, Antriebsmangel und Aktivitätsverlust. Auch Typenunterteilungen werden noch vorgenommen. So gibt es den paranoid-halluzinatorischen Typ, den katatonen Typ (schwankt primär zwischen totaler Regungslosigkeit und angstbesetzten Erregungszuständen), den hebephrenen Typ (vor allem Affekt- und Denkstörungen bei heiter-läppischer Gesamtstimmung) sowie die Schizophrenia simplex (nur Negativsymptomatik).

Haupterkrankungsalter ist das 20. bis 30. Lebensjahr. Frauen und Männer erkranken gleich viel, Frauen meist später. Die Häufigkeit liegt bei ein Prozent, egal wo in der Welt. Dabei ist eine Prognoseaussage nicht möglich: Bei manchen bleibt es bei einem schizophrenen Schub, andere wiederum werden immer wieder von der Erkrankung heimgesucht und verbleiben im schlechtesten Fall in einem so genannten Residualzustand. Etwa ein Viertel der Erkrankten schafft es, ohne Rückfälle ein geregeltes Leben zu führen oder sich mit der Krankheit zu arrangieren.

Die Ursachen der Schizophrenie sind ebenfalls vielfältiger Art und unter anderem psychologischer, morphologischer, biochemischer und genetischer Natur. Zwillingsuntersuchungen haben ergeben, dass bei eineiigen Zwillingen nach Erkrankung des einen Zwillings die Häufigkeit für den anderen, auch zu erkranken, bei 40 bis 60 Prozent liegt (die restlichen Prozent Nichterkrankter verweisen jedoch darauf, dass die Ursachen eben nicht nur genetischer Art sind!).

Mittel der Wahl sind die in den Fünfzigerjahren entdeckten Neuroleptika, insbesondere Haldol. Neuroleptika setzen sich an die Dopaminrezeptoren im Gehirn und senken den hohen Dopamin-Spiegel der Erkrankten, der eine wichtige Rolle bei der Schizophrenie zu spielen scheint. Neuroleptika wirken besonders auf die produktive Symptomatik. Das Problem: die Nebenwirkungen, die bei langjähriger und hoch dosierter Behandlung zu einem Parkinson-Syndrom führen können. Inzwischen hat man neue, so genannnte atypische Neuroleptika gefunden. Sie sollen effektiver sein, vor allem weniger Nebenwirkungen hervorrufen.

Trotz der Neuroleptika sind es aber gerade psychosoziale Maßnahmen, die den Verlauf der Erkrankung günstig beeinflussen: begleitende Psycho- und Verhaltenstherapien, ein gutes soziales Umfeld. Im Alter lässt die Wucht der Erkrankung nach, weshalb es wohl auch John Nash gelang, seine Arbeit wieder aufzunehmen und 1994 sogar den Nobelpreis zu erhalten. GERRIT BARTELS

(wird fortgesetzt)