schwarze taz
: Der neue Finanz-Thriller von Michael Ridpath ist ein riskantes Anlageobjekt

Die kleinen Perversionen der großen Börsianer

Auch überzeugte Kapitalisten geben gern zu, dass ihrem Wirtschaftssystem ein böser Kern innewohnt. Vor allem Börsianer lieben es, sich mit dem Ruch des Unmoralischen zu umgeben. Ja, sagen sie, wir sind profitgierige Egoisten, wir leben von teuer verkauften Luftschlössern, deren Bau im Nachhinein von irgendwelchen armen Schluckern bezahlt werden muss. Ja, wir schachern mit wertlosen Papieren und profitieren von Krisen, die andere erleiden. Wir sind ein teuflisches Pack, aber auch wenn wir stets das Böse wollen, schaffen wir dank der wundersamen Heilungskräfte des Marktes doch das Gute – Wohlstand für alle, was sonst?

Der britische Bestsellerautor Michael Ridpath hat vor einigen Jahren die Zeichen der Zeit erkannt. Das Beispiel John Grisham vor Augen, dachte er: Was der mit seiner Erfahrung als Anwalt geschafft hat, kann ich auch als Investmentbanker erreichen – flotte Thriller über ein mit modernen Mythen beladenes Milieu zu schreiben. Der Erfolg gab ihm Recht, gerade ist sein fünfter Roman erschienen. Auch er wird sich gut verkaufen, womit das Buch seinen Sinn erfüllt hat. Aber was will der Autor uns damit sagen?

„Das Programm“ erzählt von einer Clique junger Leute, die sich bei einem Trainingsprogramm für Investmentbanker kennen lernen und später einer nach dem anderen dahingerafft werden: Der erste bei einem Bootsausflug, die zweite auf Geschäftsreise in Prag, der dritte nach einem konspirativen Treffen in Paris. Natürlich denkt der Leser – weil der Klappentext es suggeriert –, das menschenverachtende Trainingsprogramm sei schuld. Und auch der Autor versucht darzulegen, dass das Grundprinzip des totalen Kapitalismus, „Strebe direkt den größtmöglichen Gewinn an, gehe über Leichen, der Markt wird es dir lohnen“, tatsächlich Leichen produziert – wenn Psychopathen mitarbeiten.

Der große analytische Thriller über die Perversionen der Risikofinanz ist „Das Programm“ aber nicht geworden. Zwar gerät Chris, der schüchterne Protagonist, nach dem Tod seiner Firmenpartnerin mit seinem Investment-Fonds in Turbulenzen, weil er nicht kapiert, dass er dank eines Insidergeschäfts auf einer Goldmine sitzt. Aber die Morde, die so aufgebauscht werden, als seien sie das Produkt eines fehlgeleiteten Megakapitalismus, entpuppen sich am Ende als kleingeistige Verzweiflungstaten von strebsamen jungen Leuten, die sich besser nicht einem derart unmoralischen Akt wie dem Kokainkonsum hingegeben hätten.

Wie schafft Ridpath es dennoch, seine Leser bei der Stange zu halten? Das grenzt in der Tat an ein Wunder: Die ersten 150 Seiten nämlich sind öde, weil nur blasse Infos über Leben und Leiden der Kursteilnehmer referiert wird. Dann folgt eine gewisse Verdichtung der Intrige und das Suggerieren, es könnte was Großes und Raffiniertes dahinter stecken. Dann, hundert Seiten später, die Ernüchterung und die Ahnung, wohin der Hase läuft, nämlich in private Verwicklungen. Dann der Auftritt des Mörders, der nun mit Hilfe eines Killers und durch Manipulieren eines tumben Rächers alle Mitwisser ausmerzen will. Das Buch bekommt an den richtigen Stellen immer eine gerade ausreichende Dosis Hollywood-Adrenalin injiziert, um weiter zu funktionieren. Und weil Ridpath einen sehr simplen, lesbaren Stil praktiziert, hält man es bis zum enttäuschenden Schluss durch. Lesern, die auf echten Thrill spekulieren, sei hier eine Gewinnwarnung ausgesprochen.

ROBERT BRACK

Michael Ridpath: „Das Programm“. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, 399 Seiten, 20,90 €