Haare sorgen für Haltbarkeit

Zeitlos: Thomas Riedelsheimer porträtiert mit „Rivers and Tides“ den britischen Landart-Künstler Andy Goldsworthy

Wer einem bildenden Künstler bei der Arbeit zusieht, erfährt selten etwas über die Geheimnisse seiner Kunst. Malen, meißeln, schnitzen – gerade die handfeste Produktion sagt wenig darüber aus, warum ein Kunstwerk entsteht. So ist es auch in den Filmen, die die künstlerische Praxis dokumentieren: Für Henri-Georges Clouzots außerordentlich hübsches Porträt „Le Mystère Picasso“ von 1956 durfte der Maler zwar extra auf Glasscheiben arbeiten, um die ganze Dramatik des schöpferischen Strichs zu zeigen. Doch in Erinnerung ist nicht sein Umgang mit der Farbe geblieben, sondern eben das Bild vom alternden Athleten Picasso, der mit nacktem Oberkörper malte.

Bei Thomas Riedelsheimers „Rivers and Tides“ über den in Schottland lebenden Land-art-Künstler Andy Goldsworthy schaut man dagegen auf die Hände. Sie sind schwielig, bluten ständig, haben Narben. Auch hier erscheint der physische Akt viel wichtiger als die gedankliche Konzeption des Werkes. Ohnehin gibt sich der 1956 geborene Goldsworthy extrem wortkarg. Meistens hört man nur ein Schnauben und Ächzen, wenn er zu nachtschlafender Zeit im kanadischen Nova Scotia aus Eiszapfen glitzernde Schlangenlinien formt, die sich um einen Findling am Meer spannen.

Erst nach ein paar Minuten fällt der erlösende Satz, dass Kunst für ihn eine Art „Nahrung“ darstellt, die er „wie Energie aus dem Boden zieht“. Dann schimmert die Sonne mild über einer winterlichen Küstenlandschaft, und man würde gerne mehr darüber wissen, wie da was zusammenpasst: Ist hier von alten Naturmythen die Rede? Geht es dem Künstler als Einsiedler, der seine Installationen aus Blumen, Hölzern, Blättern, Stein und Eis herstellt, um einen letzten Rest Zivilisationskritik? Doch schon ist die Skulptur geschmolzen, schon sitzt Goldsworthy wieder in seinem abgelegenen Bauernhaus, die Kinder toben durch die Küche, der Künstler sucht sich derweil ein paar Wurzeln, die er auf einer Wiese drapiert. Langhaarige Highland-Kühe glotzen ihm über die Schulter, und die Kamera zieht mit.

Doch der Eindruck vom verklärten Outdoor-Universum täuscht, Riedelsheimers Annäherung an den schüchternen Naturarbeiter stellt sich einfach optimal auf die von Goldsworthy vorgegebene sprachliche Verknappung ein. Der Film zeigt die visuellen Eingriffe in die Landschaft ohne Kommentar – und nimmt dabei die Reduktion der künstlerischen Mittel ins eigene visuelle Konzept auf. Tatsächlich führt „Rivers and Tides“ die Produktion der Kunstwerke manchmal zu Ende: Erst in einem Kameraschwenk, einer Panoramaansicht vom Kran aus öffnet sich das mühsam aneinander gefügte Material zum filigranen Tableau. Dafür hat der Film letztes Jahr den Deutschen Kamerapreis bekommen.

Nach den langen Einstellungen, in denen Goldsworthy einfach nur konzentriert mit den Elementen hantiert, findet er dann doch immer sehr präzise Worte für die Dinge: „Im Idealfall ist eine Mauer eine Linie, die sich in die Landschaft fügt, durch die sie verläuft.“ So hätte auch Mondrian die großstädtische Farbgeometrie auf seinem Bild „Broadway Boogie-Woogie“ definieren können. Dabei hat „Rivers and Tides“ nichts Belehrendes, nie versucht Riedelsheimer den Künstler zu weitschweifigen Äußerungen über Kollegen oder den Ausstellungsbetrieb zu animieren. Einmal sieht man, wie Goldsworthy mit Assistenten Lehm auf eine Museumswand in Südfrankreich schmiert. Wieder ist die Erklärung entwaffnend schlicht: Dass er Haare unter die zähe Masse mischt, sei kein schamanistischer Zauber, sondern soll bei der Haltbarkeit des Auftrags helfen.

Vor allem aber merkt man im Laufe der Dokumentation etwas von der Langwierigkeit, die in den einzelnen Projekten steckt. Darin spiegelt sich das Hauptanliegen von Goldsworthy – „working with time“, wie er es nennt. Die Zeit ist nicht im Kunstwerk versinnbildlicht, noch metaphysisch geprägt. Sie bleibt Motor für den alltäglichen Kreislauf der Natur, den Goldsworthy in seinen Installationen für einen Moment festhalten will. Stundenlang steckt er Holzstücke in einem trockenen Flussbett zusammen, bis aus den Ästen eine igluartige Behausung entstanden ist. Dann kommt die Flut und schwemmt sein Kunstwerk davon. Kinder machen es mit ihren Sandburgen am Strand ähnlich. Die Freude über solch spielerisches Geschick im Umgang mit den Gezeiten hat sich Goldsworthy erhalten. HARALD FRICKE

„Rivers and Tides“. Regie: Thomas Riedelsheimer; mit Andy Goldsworthy; Deutschland 2000, 90 Min.