Kölner Spendensumpf wird tiefer

Neuer Pegel der Spenden- und Korruptionsaffäre: 14,8 Millionen Euro. Räume der SPD in Köln durchsucht. Polizei richtet Sonderkommission ein. Union verlangt, Müntefering vor den Berliner Parteispenden-Untersuchungsausschuss zu stellen

aus Köln SEBASTIAN SEDLMAYR

Die CDU scheint sich sicher zu fühlen. Sie verhält sich, als bräuchte sie die Enthüllung möglicher Verwicklungen eigener Parteimitglieder in den Kölner Schmiergeldskandal nicht zu fürchten.

Forsch wurden gestern die Angriffe gegen führende Sozialdemokraten fortgesetzt: Franz Müntefering, den Generalsekretär und früheren NRW-Landesvorsitzenden, Bundesschatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier und den nordrhein-westfälischen Parteivorsitzenden Harald Schartau will der CDU-Obmann Andreas Schmidt vor den Parteispenden-Untersuchungsausschuss des Bundestags laden. Müntefering antwortete, er werde sich einer Einladung nicht verweigern.

Unterstützung erhielt der Vorstoß der CDU vom Grünen-Obmann Christian Ströbele. „Müntefering muss dabei sein“, sagte Ströbele der taz. Der Auftrag des Untersuchungsausschusses passe „wie gemalt“ zu den Vorgängen in Köln. Ströbele wolle zunächst die Unterlagen aller Parteien, aller beteiligten Firmen und der Staatsanwaltschaft einsehen. Notfalls müsse der Zeitplan für den Abschluss der Untersuchungen, ursprünglich für Mai geplant, umgeworfen werden. Allerdings hätten „die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf, vor der Bundestagswahl Ergebnisse zu haben“, so Ströbele. Auch die FDP will Müntefering vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages sehen. Müntefering kündigte für gestern Abend ein Treffen mit seinem Nachfolger Schartau und dem Kölner SPD-Parteichef Jochen Ott in der Domstadt an.

Unterdessen wurden weitere Einzelheiten über Schmiergeldzahlungen bekannt. Nun sind es schon 29 Millionen Mark beziehungsweise 14,8 Millionen Euro, die im Spendensumpf zwischen 1994 und 1999 versickert sind. Wie die Kölner Staatsanwaltschaft mitteilte, sei dieser Betrag im Zusammenhang mit dem Bau der Müllverbrennungsanlage in Köln-Niehl geflossen. Die Staatsanwaltschaft ließ gestern SPD-Büros durchsuchen und stellte mehrere Kartons mit Akten sicher. Die Polizei richtete eine Sonderkommission ein. Der Parteienforscher und Korruptionsexperte Erwin Scheuch glaubt angesichts der neuen Entwicklung, die Kölner Spendenaffäre könnte sich zu einem der größten Skandale der Bundesrepublik auswachsen.

Klar ist bislang, dass der zurückgetretene SPD-Fraktionschef Norbert Rüther und sein Stellvertreter, der langjährige Kassierer Manfred Biciste, 511.000 Mark angenommen und in kleine Portionen aufgeteilt haben, um die Deklarierungspflicht der großen Spende zu umgehen. Biciste ist inzwischen Rüthers Beispiel gefolgt und hat seine Ämter niedergelegt.

Über den Verbleib der restlichen 28,5 Millionen Mark wird weiter gerätselt. Nicht nur die SPD, auch die CDU hatte 1992 für die Gründung der Abfallverwertungsgesellschaft (AVG) gestimmt und damit den Grundstein für den Bau einer Müllverbrennungsanlage in Köln gelegt. Der AVG oblag nach einem Vertrag mit der Stadt die Abwicklung der Müllentsorgung. Die Stadt verpflichtete sich, die AVG für ihre Leistungen „angemessen“ zu bezahlen und alle Kosten zu tragen, die durch politische Ermessensentscheidungen entstehen.

Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der AVG wurde Hellmut Trienekens, dessen Müllfirma Trienekens AG später den Zuschlag für den Bau der Verbrennungsanlage bekam. Weil die CDU damals die AVG mit ins Leben gerufen hat, weil ihr heutiger Fraktionschef Rolf Bietmann als Anwalt von Trienekens fungiert und weil der Kölner CDU-Politiker Egbert Bischoff seit 1993 auf der Gehaltsliste des Müllkonzerns steht, gärt weiterhin der Verdacht, auch Unionsmitglieder könnten von der Firma Trienekens mit Spenden bedacht worden sein.

Der Kölner CDU-Vorsitzende Richard Blömer wehrte indes ab: „Ich habe keinen Anlass zu der Vermutung, dass irgendwelche illegalen Gelder geflossen sein könnten.“ Blömer lenkte den Verdacht auf den ehemaligen Kölner Regierungspräsidenten Franz-Josef Antwerpes (SPD). Der habe seinem Genossen, dem ehemaligen Oberstadtdirektor von Köln, Lothar Ruschmeier, geraten, die Gummersbacher Firma Steinmüller mit dem Bau der Anlage zu beauftragen. Ruschmeier hatte 1996 den ersten Spatenstich der Müllverbrennungsanlage getätigt. Antwerpes hatte sich jahrelang öffentlich für die Anlage stark gemacht.