Wochen Ende

Die Hoffnung, es bedürfe einer rot-grünen Publizistik, ging nicht auf

von JAN FEDDERSEN

Gestern, bei der mittäglichen Betriebsversammlung in den Redaktionsräumen in der Hamburger Innenstadt, waren die Tränen des Vortages offenbar schon getrocknet. Jetzt geht es einzig darum, Sozialpläne auszuarbeiten. Unentschieden ist nur noch, wer bis zur endgültigen Räumung der Schreibtische Präsenzpflicht hat und wer von den etwa sechzig Redaktionsmitarbeitern ohne schlechtes Gewissen spazieren gehen darf.

Denn deren Arbeitskraft wird nicht mehr benötigt: Die Woche ist gestern letztmals erschienen – eine Zukunft genossenschaftlicher Art hat sie nicht mehr. Verleger Thomas Ganske sagte ganz zutreffend, wer die Zeitung übernehmen wolle, müsse bereit sein, jährlich Verluste in zweistelliger Millionenhöhe zu übernehmen. Und weil diese Aussage niemand bestreitet, wird sich auch keine blatttreue Redaktionscrew finden, die das „Projekt Woche“ (Herausgeber Manfred Bissinger) übernehmen können würde.

Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen. Als die Woche am 18. Februar 1993 mit der Schlagzeile „Das Geheimprotokoll Kohl–Gorbatschow“ erstmals erschien, zeigte man sich am Hamburger Speersort, am Sitz der Wochenzeitung Die Zeit, auf gewohnte Art besorgt: „Haben die überhaupt Abitur?“, hieß es auf den Redaktionsfluren des Zentralorgans des liberalen Bürgertums – eine nervöse Reaktion auf die Konkurrenz, hatte man doch selbst (und bis heute anhaltend) mit Auflagenproblemen zu kämpfen.

Die Woche unterschied sich in der Tat gravierend vom großen Vorbild: Nicht nur brauchte man unter der Ägide Manfred Bissingers keinen Studienabschluss mit Prädikat, um auf Redaktionskonferenzen überhaupt Gehör zu finden. Auch verzichtete man bei den Newcomern auf seitenlange Essayistik, auf nanosekundenfiligrane Reportagen aus den (damals noch) Bonner Ministerien. Die Woche war vielmehr ausgezogen, das Bedenkenträgerhafte der Zeit durch eine aufrührende Mixtur aus Debatte („Streitfall der Woche“, etwa: „Brauchen wir wieder Schuluniformen?“) und Hintergrundbericht („Die Bonner Aussitzer“) zu ersetzen. Grafisch wollte die Woche der von ihr ausgemachten Moderne dienen – also versah sie sich mit vielen Grafiken und Diagrammen.

Doch je länger die Woche existierte, umso weniger war sie wirklich talk of the country: Die Spekulation, dass der sozialliberal inspirierte Journalismus der Zeit (die schon Anfang der Sechzigerjahre Themen wie „Versöhnung mit dem Osten“, „Mehr Demokratie wagen“ und „Bildung für alle“ klug setzte) überholt sei und es einer rot-grünen Publizistik bedürfe, ging nicht auf. Zwar war es vorwiegend dieses Wochenblatt, das die seit 1998 wirksamen Ideen der Regierung Schröder journalistisch zuspitzte – den Atomausstieg, die Liberalisierung weicher Drogen, die Homoehe, die Frauenfrage, die notwendige Erosion der verkrusteten Konsensrepublik. Aber – wie ja auch die rot-grünen Regenten während dreieinhalb Jahren lernen mussten – mit diesen Themen war nicht notwendig eine Hegemonie allgemein gesellschaftlichen Aufbruchs verbunden: Bissinger und die Seinen hatten die Beharrungskräfte des politischen Klimas der alten Bundesrepublik unterschätzt.

Man brauchte keinen Studienabschluss, um in der Redaktion Gehör zu finden

Obendrein – und das wird für die vergleichsweise geringen Auflagenzuwächse entscheidend gewesen sein – konnte sich die Woche nicht wirklich profilieren: Alles, was sie veröffentlichte, las sich sehr vernünftig und akkurat-solid. Nichts entging den Analytikern des Blattes, kaum eine Story war Anlass für einen Skandal. Sie machte den Eindruck eines Klassenkameraden, der immer ordentlich seine Hausaufgaben macht, aber nie über die Stränge schlägt: Das ist in Breitengraden gusseiserner Milieubindungen wie in Deutschland (allem Zuwachs durch die frühere DDR-Zeitschrift Wochenpost zum Trotz) sehr langweilig. Man verlässt sich auf einen solchen Mitschüler – aber als Bettgespiele kommt er (oder sie) niemals in Frage.

Die Woche – man hat sie nicht gehasst, aber eben auch nicht geliebt. Kolumnisten wie Jürgen Flimm, Roger Willemsen, Tilman Spengler, Ulrich Wickert und Michael Jürgs – eine Riege gutmeinender, sittlich sattelfest justierter Herren, denen man auf die Schulter klopfte, wenn sie etwas aufspießten, aber doch nicht entzückt zustimmen mochte. Die Woche war eine Déjà-vu-Zeitung: Irgendwie hatte man das Gefühl, es woanders schon mal gelesen zu haben – wenn auch nicht so gründlich. Der Erregungsfaktor, kurzum, tendierte gegen null – im Mediengeschäft ein tödlicher Befund. Der Tod wurde jetzt durch Verleger Thomas Ganske verkündet, nicht gänzlich unerwartet, wie es aus der Redaktion der Woche heißt, aber so schnell sei damit nicht gerechnet worden, wenigstens bis zur Bundestagswahl habe man mit künstlicher Beatmung noch gerechnet.

60 gute, sehr gute und exzellente Journalisten müssen sich nach anderen Jobs umsehen. Die Woche als eines der bestzahlenden Medien des Landes fällt als Reproduktionsquelle jetzt aus. Im Kanzleramt wird man noch früh genug merken, dass man eine verlässliche Kombattantin verloren hat. Selbst schuld: Kanzler Schröder hat diesem Blatt, vergrätzt über ausbleibende Hofberichterstattung, keine Interviews mehr geben wollen. Der rot-grüne Zeitgeist (so es ihn noch gibt) ist um sein treuestes Medium ärmer geworden.