Der Wonderbra des Propheten

Beispiel Saudi-Arabien: Im Koran kommt der BH nicht vor – statt dessen gibt es Gemüse

RIAD taz ■ Wer wäre nicht gerne dabei gewesen, als sich das höchste religiöse Gremium des Königreichs Saudi-Arabien mit dieser Anfrage befasste? Würdige Herren, ihr Leben dem Studium des Koran und der Scharia gewidmet, bewandert in den Feinheiten der vier großen juridischen Richtungen der islamischen Welt, Beamte des mächtigen CRLO („Permanent Council for Scientific Research and Legal Opinions“) deren „Fatwas“ (religiöse Entscheidungen) weit über Saudi-Arabien hinaus das Denken und Leben der Gläubigen prägen.

Ist der BH also islamisch, oder genauer: „Ist es mit dem Islam vereinbar, einen BH zu tragen?“ Scheich Ibn Jibrin, dem die Frage vorgelegt wurde, urteilte salomonisch. Wenn dieses Kleidungsstück aus rein gesundheitlichen Beweggründen getragen werde, so sein Urteil, dann wäre es unbedenklich. Wolle die Betreffende damit aber größere Üppigkeit vortäuschen oder jünger und attraktiver erscheinen, dann handele es sich dabei um einen bösartigen Versuch, Männer zu täuschen – und somit um Betrug. Unter diesen Umständen wäre ein BH verboten.

Islamische Juristen haben es nicht leicht, zugegeben. Um herauszufinden, wie der Prophet über Dinge geurteilt hätte, die es zu seiner Lebenszeit noch nicht gab, müssen sie den Prozess des „qiyas“ bemühen, der Analogie. Büstenhalter waren in Mohammeds Wüstenstaat unbekannt, weshalb der Koran zu diesem Kleidungsstück schweigt. Doch der Scheich las im Koran: Ein Obst- und Gemüsehändler, der schlechte Ware mit optischen Tricks aufwerte, handele in betrügerischer Absicht und sei „nicht einer von uns“, also kein guter Muslim. Was für die Datteln und Tomaten galt, so der Gelehrte, könne man auf die Brüste der heimtückischen Verführerin übertragen, die da mit ihrem heidnischen Wonderbra einen gutgläubigen Bräutigam betören möchte. Hätte er gewusst, dass sie bloß 32 A ist und nicht 36 C, hätte er sie niemals geheiratet! Und wie ist es mit dem Turban, der Herrn Ibn Jibrin um etliches stattlicher erscheinen lässt? Und die kreisförmige kahle Stelle auf seinem Hinterkopf verdeckt? Dazu hat er noch keine Fatwa verlautbart.

Dafür hat sein Gremium in einem anderen Fall ein erstaunliches Urteil getroffen. Viele Saudis halten sich, aus Studien oder anderen Zwecken, vorübergehend im Ausland auf. Und fühlen sich dort einsam und, schlimmer noch, frustriert. Also heiratet der reisende Saudi – in der Absicht, die Braut anlässlich seiner Heimreise wieder zu verstoßen.

Darf ein guter Muslim seiner ahnungslosen Partnerin vorenthalten, dass er gar nicht die Absicht hat, mit ihr zusammenzubleiben, sondern sie nur als vorübergehende Bettgespielin und Haushälterin benutzt? Als juristische Laien würden wir wahrscheinlich urteilen, dass es sich hier um einen weitaus hochgradigeren Betrug handelt, als bei der vergleichsweise harmlosen Aufpolsterung weiblicher Oberweiten. Doch der Rechtskundige entscheidet anders. Wenn beide Seiten zum Zeitpunkt der Eheschließung beabsichtigen, sich wieder scheiden zu lassen, dann ist es unislamisch, befand der CRLO. Wenn der Mann seiner Auserwählten diesen Plan jedoch vorenthält, ist alles in Ordnung. Was dem männlichen Komfort dient, ist offenbar nicht Betrug.

Doch arabische Scheichs sind nicht die Einzigen, die einem Doppelstandard huldigen. Interessant sind da aus unserem Kulturkreis die Geschäftsketten McDonald’s und Starbucks, Produzenten von Cheeseburger, Espresso und prinzipienloser kultureller Anbiederung.

McDonald’s: ein familienfreundlicher Ort. Starbucks: ein liberales Unternehmen mit progressiver Firmenphilosophie. In Saudi-Arabien unterhalten Starbucks und McDonald’s schöne, helle, glänzende Niederlassungen – für ihre männlichen Gäste. Für die Frauen gibt es eine abgeschlossene, dunkle Hinterkammer. Es ist kaum vorstellbar, dass diese Firmen die Geschmacklosigkeit besäßen, schwarze Gäste in einem Apartheidsystem dermaßen zu beleidigen. Jede Frau und jedes Kind im Westen sollte sorgfältig überlegen, ob ihnen die McNuggets und der Kaffee-latte unter diesen Umständen noch schmecken. Die Organisation Frauen ohne Grenzen jedenfalls ruft zum Boykott auf.

CHERYL BENARD, EDIT SCHLAFFER