Herz der Finsternis

In Herrenmanier: 1873 begleitete der Fotograf Philipp Remelè eine Expedition nach Ägypten. Die Edition Temmen hat nun einen Band mit seinen Aufnahmen aus der Libyschen Wüste veröffentlicht

Obwohl es europäischen Völkerkundlern zu Beginn des 19. Jahrhunderts an empirischem Material über Afrika mangelte, forschten sie vom heimischen Schreibtisch aus. Die Folge waren stereotype Zuschreibungen, die gleichwohl Eingang ins Allgemeingut fanden. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts brachen immer mehr Expeditionen in das Innere des Schwarzen Kontinents auf. 1873 startete der Bremer Gerhard Rohlfs in die bislang unbekannten Gebiete der Libyschen Wüste Ägyptens.

Die Forschungsreise hatte vorwiegend geografische Ziele. Die geologischen Verhältnisse sollten erforscht und genaue Karten vom Terrain angefertigt, biologische wie ethnologische Sammlungen angelegt werden.

An den Ergebnissen interessiert, finanzierte das ägyptische Königshaus die Expedition. Das ermöglichte, neben althergebrachten Aufzeichnungen ein damals relativ neues wie teures Medium einzusetzen: die Fotografie. Damals galt noch die Ansicht, dass Fotografien eine originalgetreue Wiedergabe der Realität liefern. Ablichtungen kamen visuellen Beweisstücke gleich, derer sich Wissenschaftler gern bedienten. Heute wissen wir: Fotografien sind subjektiv.

Philipp Remelè dokumentierte unter schwierigen Bedingungen die Wüstenreise, gegen Hitze, Staub und Wüstensand hatte er zu kämpfen. Erschwerend kamen die langen Belichtungszeiten von einer bis zehn Minuten hinzu, Schnappschüsse waren nicht möglich. Der 29-jährige Fotograf fertigte Landschaftsaufnahmen und ethnografische Porträts an. Seine Kommentare zu den Aufnahmen sind geprägt von der Geisteshaltung eben jener Völkerkundler, für die er Bildmaterial sammelte.

Dennoch sind Bilder wie Notizen eine hervorragende historische Quelle, die dokumentarische, reflexive Informationen über einen Moment der Geschichte liefern. Zwar überstanden nur wenige der chemisch instabilen Fotografien von Philipp Remelè die Jahrzehnte. Doch im Museum Schloss Schönebeck, das den Nachlass des Afrikaforschers Rohlfs verwaltet, ist eins von ehemals 100 Prachtalben mit den Aufnahmen aus der Libyschen Wüste erhalten, nun von der Edition Temmen erstmals wieder publiziert.

Der „fotografierende Ethnologe“ berichtet von beeindruckenden Bergkulissen, freudigen Empfängen der Eingeborenen und Bedenken, nur mit den Händen im Kreis seiner Gastgeber zu essen, von „gewissen architektonischen Schönheiten“ und einem „pochenden“ Herzen angesichts der Stadt Theben. Er porträtierte entlaufenen Sklaven und vermerkt ohne Gefühlsregung, dass sie von „ihren Herren wieder eingefangen“ wurden. Die Aufnahme von einem Diener zeigt einen „hässlichen Dinka, recht fleißig, aber sehr schmutzig“. Ein Lakai „betete gern, wenn er gesehen wurde“. In feinster Herrenmanier berichtet der Fotograf von einem eingeborenen Gehilfen, der „sich heraus nahm, laut zu protestieren“, nur weil er einen Weg für zu gefährlich hielt. „Ich gebot dem Unverschämten Schweigen.“

Die Landschaftsaufnahmen zeigen Oasen, Gärten, Städte und immer wieder die Wüste und zerfallene Tempel. Siut ist „für eine ägyptische Stadt nicht übel gebaut“. In der Gräberstadt sind „die Dome der Todten bedeutend sorgfältiger gearbeitet als die elenden Häuser der Lebendigen“. Und die Palmgärten von Farafrah findet Remelè nur „von außen, aus einiger Entfernung betrachtet schön“. Dass es den Einheimischen nicht um Schönheit, sondern ums blanke Überleben geht, kam dem europäischen Forschungsreisenden nicht in den Sinn.

ANDREAS HERGETH

Museum Schloss Schönebeck (Hg.): „Fotografien aus der Libyschen Wüste“. Edition Temmen, Bremen 2002, 124 Seiten, 25 €