Das Schlossgespenst geht um

Die Geschichte zurechtkneten: In Berlin fordert die Kommission „Historische Mitte“ ein Schloss. Das bringt die Architekten auf die Palme. Das 21. Jahrhundert wird verschoben, Geld ist eh nicht da

Wo viele neue Häuser stehen, „kann manin der Mitte doch historisch bauen“

Nicht gerade effektiv ist die Suche der Hauptstadt nach einer neuen Mitte: Nach einem Sitzungsmarathon aus zwölf ganztägigen Hearings, Gesprächsrunden und Exkursionen, verteilt über fast genau ein Jahr, hat gestern die internationale Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ ihren Abschlussbericht vorgestellt. Und verabschiedet sich, wie es sich gehört, nach „wichtigen Debatten“ an der Spree: nämlich im Zank. Statt dem „Servus“ musste sich der Vorsitzende des Gremiums, der Europapolitiker Hannes Swoboda aus Wien, ein „Adieu“ gefallen lassen.

Von der zentralen Empfehlung der Kommission, „bei der Gestaltung des Areals von der Errichtung eines Gebäudes in der Stereometrie des Berliner Stadtschlosses auszugehen“, distanzierte sich gleich eine Hand voll Teilnehmer der 17-köpfigen Runde. Mit einem „Sondervotum“ munitioniert, goss der Präsident der Bundesarchitektenkammer (BAK), Peter Conradi, Gift und Galle über den „restaurativen Charakter“ der Empfehlungen aus. Der Bund und das Land Berlin, Auftraggeber der Kommission, täten besser daran, einen Architekturwettbewerb auszuloben, statt sich Swobodas Hoffnung barocker Wiederauferstehung in der Hauptstadt hinzugeben.

Aus der Enttäuschung über die Kommissionsarbeit lässt sich dennoch so viel herausdestillieren: Am großen Wurf, der Vision „für ein Centre Pompidou des 21. Jahrhunderts“, die sich einige als neues bauliches Symbol für die zentrale Mitte von Stadt und Staat erhofft hatten, ist man gescheitert. Mehr noch. Mit dem Konzept für die Gestaltung, Architektur und Nutzung des Areals glauben sich die Teilnehmer der Runde kaum weiter als vor einem Jahr, als ein Kompromiss nostalgischer Geschichtsbeschwörung und funktionaler Gegenwartsnutzung schon auf dem Tisch lag: mit dem Wiederaufbau des 1950 gesprengten Berliner Stadtschlosses in wesentlichen Teilen und einer kulturellen-wissenschaftlichen Nutzung.

Vergessen wird dabei, dass die politisch relevanten Koordinaten für das Gelände samt dem bis auf die Stahlkonstruktion abgetragenen Palast der Republik vor dem Beginn der Fachgespräche anders aussahen. Als das Gremium aus Politikern, Architekten, Denkmalexperten und Kulturschaffenden im Januar 2001 zusammentrat, reichten die Ideen von der Hotelbebauung privater Investoren bis zur Vorstellung eines „Central-Parks“ und „grüner Lunge“.

Die Kommission hat dem Anything-goes eine radikale Absage erteilt. Die Analyse des historischen Ortes, seine Symbolik und städtebauliche Funktion verlängerte das Gremium zu der Entscheidung, dort eine öffentliche Nutzung für staatliche und städtische Institutionen anzusiedeln und rein kommerzielle Begehrlichkeiten auszuschließen. Außerdem wurde der Beschluss gefällt, die Finanzierung des rund 750 Millionen Euro teuren Gebäudes nicht privaten Bauträgern und Projektentwicklern zu übereignen, sondern mittels öffentlicher Gelder vom Bund und vom Land Berlin, aus Spenden und Fonds die Kosten für das Areal zu sichern.

Zudem formulierte man einen weiteren wichtigen Punkt. Hatten selbst nach der Schließung und Sanierung des asbestverseuchten Palastes der Republik viele gefordert, das Bauwerk zu erhalten, legte die Schlossexpertenrunde ein deutliches Votum gegen dessen Wiedereröffnung ein. Ein Geschichtssammelsurium in Form einer Baucollage aus Altem, DDR-Moderne und Zeitgenössischem sollte es nicht geben, verkörperte diese doch Unentschiedenheit statt Klarheit.

Dem Leitbild der Stadtreparatur und öffentlichen Nutzung hätte das Wagnis der Erneuerung folgen können. Dass dieses nicht versucht wurde und statt dessen über „Stadtdekoration“ parliert wurde, wie Berlins Bausenator Peter Strieder noch am Mittwoch auf einer Podiumsrunde der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema monierte, ist jener – und nun zu Recht kritisierten – Mutlosigkeit der Kommission geschuldet, sich am Schlossplatz einen Sprung ins 21. Jahrhundert überhaupt vorstellen zu wollen. Besonders ärgerlich erscheinen dabei die Begründungen: Die wohl banalste Erklärung hatte Swoboda selbst parat. Weil es in Berlin so viele neue Häuser gäbe, „kann man in der Mitte doch historisch bauen“.

Bei derart intellektuellem Durchblick muss es nicht verwundern, dass die Mehrheit der Kommission der „Versuchung“ (György Konrád) nicht widerstehen konnte, die Innenstadt mit einem traditionellen Nutzungsprogramm und barocken Fassaden überziehen zu wollen. Klaglos wurden in die Kommissionsempfehlungen die Vorgaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übernommen, die am Schlossplatz ihre außereuropäischen Sammlungen präsentieren will. Hinzu kamen die wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität samt der Landesbibliothek und eine „Agora“ aus Räumen für Kongresse und Fachtagungen. Da schien es nur evident, der monofunktionalen Nutzung des Schlossplatzes als Kulturraum die umstrittene Schlossrekonstruktion folgen zu lassen.

Sei’s drum, werden viele sagen, Berlin hat sowieso kein Geld, ein Schloss zu bauen. Für das eigentliche Thema vor Ort, nämlich in welcher baulichen Form die Republik sich repräsentiert, bedeutet die Nachbau-Empfehlung aber mehr. Sie ist nicht nur gesellschaftlich und politisch eine „falsche Botschaft“, wie Conradi kritisiert. Die eigentliche Botschaft ist die Absage an moderne Gestaltungsfähigkeit und der Verrat moderner Architektur. ROLF LAUTENSCHLÄGER