Krieg, einfach gemacht

Der Weltgeist in Gestalt der US-Generalität: Der US-Intellektuelle Michael Walzer glaubt, dass Militär und Moral in den USA in den Neunzigern zueinander gefunden haben

Michael Walzer ist ein kleiner, älterer Herr. Er spricht leise und umkreist in überschaubaren, klaren Sätze die Frage, was ein gerechter Krieg ist. Wir, der Westen, sagt er, haben im Irak, im Kosovo und Afghanistan gerechte Kriege geführt. Diese Interventionen waren Akte der Selbstverteidigung oder Versuche, Bedrängten zu helfen. Deshalb waren sie gerecht – was nichts darüber sagt, ob auch der nächste Krieg gerecht sein wird.

Michael Walzer firmiert hierzulande als Sprecher der US-amerikanischen Linken. Wenn das stimmt, dann ist die dortige Linke ziemlich strikt auf Regierungslinie. Das irritiert hierzulande, denn in Deutschland ist Machtferne noch immer eine intellektuelle Tugend. Für Walzer sind solche Distanzattitüden grundlos. Wir brauchen keine Angst vor der militärischen Macht zu haben, das ist der Subtext seiner Rede, der auch das ihm gewogene Publikum in der Deutschen Bank in Berlin leicht verstört. Macht und Moral, so Walzer, stehen heute im Grunde auf einer Seite. In Vietnam sei das anders gewesen, doch die USA hätten gelernt. Heute muss das Militär die Zivilbevölkerung des Feindes schonen, weil der Krieg sonst nicht führbar ist. „Die Moral ist nützlich geworden, und das ist militärgeschichtlich völlig neu.“ Das ist die zentrale Erkenntnis – unter den Bedingungen der medialen Massendemokratie sind nur begrenzte Kriege führbar, die ethisch gerechtfertigt werden müssen. Walzers Begriff des „gerechten Krieg“ zielt auf Normen, die beides tun: den Krieg legitimieren und begrenzen. Das ist ein ziviler, kein militärischer Zugang. Walzer findet auch manches Militärische kritikwürdig, zum Beispiel die im Kosovo praktizierte risikofreie Kriegsführung aus der Luft, weil damit Zivilisten am Boden über die Maßen gefährdet wurden.

Es ist ziemlich irreführend, all dies eine „Theorie des gerechten Krieges“ zu nennen. So ähnlich wie Anthony Giddens’ Thesen über den dritten Weg sind auch Walzers Ideen eher weitgehend affirmative, kategoriale Beschreibungen herrschender Regierungspraxis. Walzer versucht als Intellektueller praktische Antworten auf Fragen zu geben, die auch Leitartikler und Minister beschäftigen. Zum Beispiel, wie ein Krieg gerecht beendet werden kann. Oder wie viele zivile Opfer legitim sind. Dazu fällt Walzer allerdings außer ein bisschen Pazifisten-Bashing auch nicht viel ein. Wer von den Militärs verlange, dass es gar keine zivilen Opfer gebe, schiebe bloß die Verantwortung von sich weg, sagt er. Die Frage, wie viele Tote ein gerechter Krieg fordern darf, ist damit allerdings auch nur weggeschoben.

Es ist wohl der pragmatische, alltagspraktische Zugriff, der Walzers Attraktivität ausmacht – seine Thesen versteht eigentlich jeder Zehntklässler. Sie sind überschaubar und handhabbar, ein praktisch anwendbares Instrument, mit dem sich ein ziemlich unübersichtliches Gelände im Handumdrehen vermessen lässt. Inspiriert ist das Ganze von der freundlichen Annahme, dass die US-Bürgergesellschaft jederzeit in der Lage ist, die richtige moralische Entscheidung zu treffen. Im Grunde scheint Walzer den Weltgeist in Form der US-amerikanischen Generalität auf seiner Seite zu wissen.

Die einfache Architektur dieses Thesengebäudes hat ein unübersehbares Manko: Es gibt darin nicht viel Platz für Widersprüche, für Aporien sowieso nicht. So hofft Michael Walzer, wie alle vernünftigen Zeitgenossen, auf eine starke UNO. Doch solange die UN zu schwach sei, um Mord und Totschlag zu stoppen, müssten das andere tun. Wie Vietnam Ende der 70er in Kambodscha. Oder die USA in Afghanistan und Irak.

Kann es nicht sein, dass die unilaterale Praxis der USA die Idee der UN, nämlich die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, zerstört – und zwar selbst wenn man Walzer darin folgt, dass all die US-Interventionen gerechtfertigt waren? Das wäre ein unlösbarer Widerspruch – und zu trübsinnig für Walzers von historischem Optimismus beseelte Ideen. Was ist eine Theorie wert, in der das Scheitern nicht vorgesehen ist?

STEFAN REINECKE