Killer und Richter

Der Feldzug gegen die Pressefreiheit in Russland geht weiter. Jetzt treibtdie Moskauer Justiz die regierungskritische „Nowaja Gazeta“ in die Pleite

aus Moskau MARCUS BENSMANN

Killer und Gerichte bedrohen die Nowaja Gazeta (Neue Zeitung). In der Nacht zum Dienstag entging Sergej Solowkin, Korrespondent des unabhängigen russischen Blattes, nur knapp einem Attentat. Gegen 22 Uhr hatte der Täter Solowkin vor seiner Haustür aufgelauert. Die zwei Kugeln verfehlten jedoch ihr Ziel, eine zufällig vorbeifahrende Polizeistreife konnte den Schützen verhaften.

Solowkin hatte sich Feinde gemacht. Zum Beispiel einen leitenden Richter im südrussischen Krasnodarskij Krai. Der fühlte sich von einem Nowaja-Gazeta-Beitrag an der Ehre gepackt, in dem ihn das Blatt indirekt der Korruption beschuldigt haben soll. In der Kolumne hatte Solowki gefragt, wie sich der Richter bei seinem Monatsgehalt von umgerechnet gerade einmal 300 US-Dollar eigentlich hochwertige Schweizer Uhren, teure Autos und schicke italienische Anzüge leisten könne.

Solowkins Anfang Januar erschienene Kolumne und die insgesamt kritische Berichterstattung des Blattes sorgen auf jeden Fall für einen teuren Frühlingsanfang bei der Nowaja Gazeta: Ein Moskauer Bezirksgericht verurteilte die zweimal wöchentlich erscheinende Zeitung in zwei Verfahren insgesamt zu einer Zahlung von umgerechnet 1,5 Millionen US-Dollar.

Ihrem Richterkollegen in Südrussland sprach Bezirksrichterin Elena Ptanskaja am 22. Februar eine glatte Dollarmillion zu. Ursprünglich hatte der Richter sogar zehn Millionen Dollar Schadensersatz verlangt, obwohl russische Gerichte bei derartigen Fällen üblicherweise Entschädigungsgelder bis maximal 1.000 Dollar verhängen. „Eine Million Dollar für die Ehre eines russischen Richters ist schlicht absurd“, sagt Nowaja-Gazeta-Anwalt Jaroslaw Kojeurow.

Doch damit nicht genug: Eine Woche später verurteilte die selbe Richterin das Blatt zur Zahlung von weiteren 500.000 Dollar Schadensersatz an ein Moskauer Kreditinstitut. Die MeschProm Bank hatte angeblich wegen eines Nowaja-Gazeta-Artikels Verlust in exakt dieser Höhe erlitten. Doch nach Aussagen von Anwalt Kojeurow ist die Berechnung des Schadens schlicht an den Haaren herbeigezogen.

„Unsere Zeitung soll dichtgemacht werden“, sagt auch der Chefredakteur Dimitrij Muratow. „Das Ziel dieser Urteile ist die endgültige Vernichtung der Pressefreiheit in Russland.“ Zahlungen in derartiger Höhe sind für das Blatt ausgeschlossen: Der gesamte Jahresumsatz der vor zehn Jahren gegründeten Nowaja Gazeta beläuft sich umgerechnet gerade einmal auf rund eine Million Dollar.

Tschetschenien

Die Nowaja Gazeta gilt als eine der letzten unabhängigen Zeitungen in Russland. Das Blatt berichtet als einzige russische Zeitung regelmäßig kritisch über den Krieg in Tschetschenien und spart auch die brutale Vorgehensweise der russischen Sicherheitskräfte nicht aus. Die Nowaja-Gazeta-Reporterin Anna Politkowskaja wurde wegen ihrer kritischen Tschetschenienberichte aus der Region verwiesen, musste ein Jahr nach Europa fliehen und entkam im Januar nur knapp den Häschern des Sicherheitsdienstes.

Auch die anderen Mitarbeiter des Blattes recherchieren offen über Korruption und Machtmissbrauch in Russland. Das hatte der Nowaja Gazeta im Februar zwar einerseits einen der Förderpreise für junge osteuropäische Presse der Zeit-Stiftung Gerd Bucerius eingebracht. (siehe taz vom 22. 2.)

Andererseits sorgt die Unabhängigkeit für mächtige Gegner: Der Präsidialverwaltung im Kreml ist die Zeitung wegen ihrer Berichterstattung ein Dorn im Auge. Anders als die kritischen russischen Sender Fernsehsender NTV und TV6 kann die russische Administration die Nowaja Gazeta aber nicht über eine Veränderung der Besitzverhältnisse aushebeln. Bei den beiden Privatsendern hatten sich halbstaatliche Großkonzerne eingekauft und für Linientreue gesorgt. Dieser Weg ist bei der Nowaja Gazeta wegen der breit gefächerten Eigentumsstruktur versperrt.

Dennoch droht dem mit einer Auflage von rund 250.000 Exemplaren nicht eben ganz kleinen Blatt der finanzielle Ruin. Denn die Erlöse aus dem Anzeigengeschäft sind seit Jahresanfang auffällig eingebrochen: Ein Geschäftsmann, so Chefredakteur Muratow, habe ihm berichtet, er könne keine Werbung mehr schalten, da er sonst Schwierigkeiten bekäme.

Nowaja-Gazeta-Anwalt Kojeurow hofft nun auf die nächste Instanz und will notfalls über den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof den russischen Richterspruch anfechten lassen. Als Mitglied des Europarats wäre für Russland ein Urteil aus Strassburg bindend.