„Ich kam mit Armut in Berührung“

Mit 84 Jahren ist der US-Ökonom James Tobin gestorben. Er begründete, warum der Staat in die Wirtschaft eingreifen darf. Seine berühmteste Idee, die Tobin-Steuer, ist nun eine zentrale Forderung der globalisierungskritischen Bewegung

von HANNES KOCH

James Tobin sei der „führende Makro-Ökonom unserer Generation“, hat einmal der einflussreiche Wirtschaftswissenschaftler Paul A. Samuelson gesagt. Am vergangenen Montag ist Tobin im Alter von 84 Jahren gestorben.

Viele Leute würden seinen Namen trotzdem nicht kennen, hätte die globalisierungskritische Bewegung den US-Ökonomen nicht gegen seinen Willen zur Ikone erkoren. Tobins Idee von 1971, den internationalen Handel mit Währungen zu besteuern und dadurch einzuschränken, wurde seit Mitte der 90er-Jahre so populär, dass eine Volksbewegung wie das Netzwerk Attac sie zum zentralen Punkt ihres Programmes machte.

James Tobin ist ein Kind der Großen Depression. Die Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise der späten 20er- und 30er-Jahre haben seine Forschungen geprägt. Margaret Edgerton Tobin, seine Mutter, leitete eine Agentur für Sozialarbeit in Tobins Geburtsstadt Champaign/Illinois. „Durch sie kam ich mit dem Leiden durch Arbeitslosigkeit und Armut in Berührung“, schrieb er in seiner Autobiografie für das schwedische Nobelpreiskomitee im Jahr 1981.

Seit 1935 Student der Harvard-Universität in Boston, stieß Tobin bald auf ein neues Buch des britischen Ökonomen John Maynard Keynes. Während seiner wissenschaftlichen Karriere bemühte er sich, Keynes’ Theorie zu aktualisieren. In der Verleihung des Nobelpreises für Ökonomie 1981 sah die Frankfurter Rundschau „einen Ansporn für die in die Defensive geratene keynesianische Denkschule“.

Tobin argumentierte, dass die staatliche Wirtschaftspolitik zwei Ziele haben sollte: Vollbeschäftigung und niedrige Inflation. Er entwickelte eine Theorie, derzufolge die Verschuldung des Staates private Investitionen nicht verdrängt. Damit lieferte er eine wissenschaftliche Begründung für die wachstumsfördernde Wirkung öffentlicher Investitionen. Da Ökonomen wie Milton Friedman diesen Zusammenhang immer bestreiten, verstand Tobin seine Veröffentlichungen als Relativierung der neoliberalen Theorie.

Als Dozent der Yale-Universität in New Haven/Connecticut wurde er von Präsident John F. Kennedy 1961 zum Berater berufen. Auf seinen Einwand, „ich bin ein Professor im Elfenbeinturm“, soll Kennedy geantwortet haben: „Macht nichts, ich bin Elfenbeinpräsident.“ Das von Tobin noch vor Kennedys Ermordung konzipierte Programm umfangreicher Steuererleichterungen gilt als ein Auslöser für den Aufschwung der 60er-Jahre.

Als Anfang der 70er-Jahre das nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte System der festen Wechselkurse zwischen den großen Währungen zusammenbrach, entwickelte Tobin das Konzept, das noch heute mit seinem Namen verbunden ist: die Tobin-Steuer. Um Finanzkrisen zu verringern, soll jede Devisentransaktion mit einer geringen Steuer belegt werden. Diese Abgabe würde den potenziellen Handelsgewinn der Geldhändler auffressen, wodurch derartige Geschäfte unterdrückt würden. Im Zeitalter der Globalisierung ist diese Idee so einflussreich, dass die französische Nationalversammlung unlängst ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hat. Tobin wehrte sich allerdings gegen die Vereinnahmung durch die Globalisierungskritiker, denn im Prinzip war er ein Anhänger des freien Welthandels.

Als Offizier auf einem US-Kriegsschiff im Zweiten Weltkrieg gab Tobin das Vorbild für eine Figur in einem Roman seines Bekannten Herman Wouk ab. Den Seemann „Tobit“ charakterisierte der Autor so: „Er läuft eine ganze Strecke vor dem Feld.“

Unter Mitarbeit von Brigitte Marquardt, Archivarin