Dreieck ohne tragische Kanten

Marion Vernoux verfilmte 1996 mit Love etc. einen Roman von Julian Barnes. Zur Wiederaufführung liest der Autor aus seiner Fortsetzung  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Drei verschiedene Menschen, drei Geschichten. Sie können sich begegnen, viel Zeit, sogar Jahre miteinander verbringen, können sich lieben, vielleicht heiraten, viel gemeinsam über all das reden – und doch: Nicht erst in der Rückschau, schon im jeweiligen Augenblick werden sie unterschiedliche Versionen der Geschehnisse haben. Dem steinalten Thema Dreiecksgeschichte hat der britische Autor Julian Barnes vor einem Jahrzehnt mit seinem vielstimmigen Roman Darüber reden (Talking It Over) auf diese Weise neue Töne abgewonnen.

Gillian, Gemälde-Restauratorin, lernt den Bankangestellten Stewart kennen, doch dessen bester Freund Oliver, Lehrer und Künstlertype, bringt es fertig, sie ihm nicht lange nach der Hochzeit auszuspannen. Wir verfolgen in kurzen Passagen drei direkt an den Leser gerichtete Kommentare der beteiligten Personen. Und die rechnen je auf ihre Weise mit dem Mythos große Liebe ab. Lakonisch sind sie dabei allesamt, ihr Duktus ist der des gesprochenen Worts. Voller Sprachgewandheiten, Bonmots und Anspielungen auf Geschichte, Literatur, Film und Musik zeigt sich vor allem die Erzählung Olivers. Das Dreieck wird auf eigentümliche Weise rund, denn Barnes hat dem Thema die Kanten der Tragödie abgeschlagen, wie Ernst Lubitsch 1933 in Serenade zu dritt.

Die Regisseurin Marion Vernoux übersetzte den temporeichen Text von Julian Barnes 1996 in einen sehr ruhigen Film. Nicht London, sondern Paris ist der Ort der Handlung von Love etc., und weniger hektisch ist die Stadt selten gezeigt worden. Die Perpektivenvielfalt der Vorlage übersetzte Vernoux in unterschiedliche Kamerablicke.

Auf der Strecke geblieben ist dabei allerdings die temperamentvolle Polyphonie des Romans. Nur in Anpielungen ist sie erhalten: Da sind bei der ersten Begegnung von Marie, wie Gillian hier heißt, und Benoit (Stewart) einmal Eindrücke der beiden aus dem Off zu hören; mal wird, während der Trauung, das Bild mehrfach eingefroren, damit Einzelne vortreten und zum Publikum sprechen können; vor allem Pierre (Oliver) sucht sich auf seinen Wegen durch die Stadt wahllos Passanten, denen er seine Version der Geschichte erzählen kann. Doch trotz allen Godards behält hier doch Rohmer die Oberhand. Zurückgehaltene Sätze, auf halbem Weg stecken gebliebene Gesten und ein stiller Pathos beherrschen Love etc., dessen Personal den größten Teil seiner Zeit mit gemeinsamen Ausflügen ans Meer zu verbringen scheint.

Die immer mädchenhafte Charlotte Gainsbourg, ein Woody-Allan-hafter Yvan Attal und der verschmitzt-jungenhafte Charles Berling mimen hier zeitlose Bedenkenträger, die schließlich aber doch ihrem je inneren Drang folgen, wie der Film suggeriert. Man möchte sie schütteln und mit einem Bonmot zumindest auf den Stand der Dinge am Ende des 20. Jahrhunderts bringen. Zum Beispiel mit den Worten des Ich-Erzählers aus Julian Barnes Debüt Metroland, warum er „sie“ liebe: „Weil ich sie einmal gefragt habe: ,Wirst du mich immer lieben, egal, was passiert?' und sie geantwortet hat: ,Bei dir piept's wohl.'“

Der Film endet mit einem melancholischen Nachklapp, einer Wiederbegegnung der drei, wie sollte es anders sein, am Meer. Julian Barnes scheint das keine Ruhe gelassen zu haben, er hat mit seinen Figuren weitergelebt und sie nun, nach fast zehn Jahren, erzählen lassen, was seitdem geschehen ist und weiter passiert. Der Roman mit dem etwas verwirrenden Originaltitel Love etc. macht dort weiter, wo Filme meistens enden: Wenn die zwei „Richtigen“ sich endlich gefunden haben und die eigentlichen Konflikte erst anfangen.

Gillian und Oliver sind inzwischen längst verheiratet, haben zwei Töchter, der Versuch, in Frankreich Fuß zu fassen, ist gescheitert, und so kehren die beiden, sie erfolgreiche Restauratorin, er mehr oder weniger Hausmann, nach England zurück. Und auch Stewart, der Geprellte, der inzwischen in den USA eine Karriere als Geschäftsmann und eine fünfjährige Ehe hinter sich hat, kehrt nun, als Marketingstratege für Bioprodukte, nach London zurück. Nicht ohne immer noch schlummernde Rachegefühle ... Julian Barnes wird anlässlich der Veröffentlichung des Romans auf Deutsch aus dem englischen Text lesen und einleitende Worte zur Wiederaufführung von Marion Vernoux' Love etc. sprechen. Und das dürfte verdammt lustig werden.

Lesung: Mo, 20 Uhr, anschließend Film (21.45 Uhr), Abaton

Julian Barnes, Liebe usw., Kiepenheuer und Witsch, Köln 2002, 254 S., 19,90 Euro