Gefangen im neonblauen Zwischenstopp

■ Mit Valeri auf Odyssee durch ein verstörend kaltes Berlin: “England!“ im Kino 46

Valeri ist ein Guter. Ein Zu-Guter. Einer, der so gut ist, dass es nur schief gehen kann. Vielleicht hätte es geklappt, wenn er in seinem Heimatort in der Ukraine geblieben wäre, doch Valeri hat zu seinem Unglück auch noch einen Traum: England. Und weil Valeri nicht nur gut, sondern auch grenzenlos optimistisch ist, macht er sich kurzerhand auf den Weg.

Zu diesem Zeitpunkt ahnt er bereits, dass die Aufräumarbeiten, die er vor vielen Jahren mit seinem Freund Victor in Tschernobyl geleistet hat, nicht folgenlos geblieben sind, und hat somit keine Zeit mehr zu verlieren. Einzig geplanter Zwischenstopp ist Berlin, wo er Victor aufsammeln möchte, um dann gemeinsam mit ihm die Reise ins Glück anzutreten. Kann noch was schief gehen? Es kann.

Denn Victor, ebenfalls strahlengeschädigt, hat sich inzwischen das Leben genommen, und Valeri (Ivan Shvedoff in einer Idealbesetzung) findet von ihm nicht viel mehr vor als ein Zimmer voller Umzugskartons und einen bereits leicht verstimmten Mitbewohner namens Pavel (Merab Ninidze). Er selbst bleibt – mangels Mitfahrer, mangels Energie – in Berlin hängen, driftet antriebslos und mit wunderbar traurig staunenden Kinderaugen durch die Großstadt. Hat irgendjemand in letzter Zeit behauptet, Berlin sei schön, aufregend, bunt? Valeris Berlin ist es nicht. Valeris Berlin ist kalt, regenglänzend und leuchtet neonblau, die Straßen sind, wenn überhaupt, bevölkert von schweigsamen Einzelgängern, Türschließerinnen in der U-Bahn, misstrauischen Taxifahrern.

An Victors früherer Arbeitsstätte, einem überaus zwielichtigen russischen Hotel, trifft Valeri auf Maria (Anna Geislerowá), die Frau des Besitzers, doch die Liebesgeschichte, die sich zwischen beiden anbahnt, ist so zerbrechlich, dass es regelrechte Übertreibung wäre, sie als solche zu bezeichnen. In leisen, außergewöhnlichen Bildern erzählt der junge Regisseur Achim von Borries Valeris Geschichte. Gefilmt mit dem Blick eines Künstlers und dennoch faszinierend uneitel und selbstverständlich fängt der Film seine Figuren ein, ohne sie jemals ganz zu erklären.

Dass er dabei nicht immer ohne Klischees auskommt – natürlich ist Pavel ein erfolgloser, aber begabter Künstler, natürlich sehnt sich Valeri hauptsächlich nach dem Meer und nur sekundär nach England – sei angesichts der Fülle an intensiven, zutiefst verstörenden Momenten gnädig verziehen.

Beklemmend nah kommt der Zuschauer an Valeri heran, taucht mit ihm ein in seine sonderbare Odyssee durch Berlin. Selten hat man im deutschen Kino so mit einer Filmfigur gelitten, sich so sehr fesseln lassen, dass man den Regisseur für jeden Augenblick des Glücks liebt, den er Valeri gönnt. Und vor allem: Selten hat man so sehr auf ein Happy End gehofft. Und doch – als es dann tatsächlich soweit kommt, will der Beigeschmack des Unwirklichen, Unglaubwürdigen nicht weichen, geht man dennoch unbefriedigt aus dem Kino. Zuviel, zu eindeutig dieses Ende für einen ansonsten traumwandlerisch zarten Film.

Bodil Elstner

„England!“ ist am 22. und 23.3. jeweils um 20:30 Uhr und am 25. und 26.3. jeweils um 18:30 Uhr im Kino 46 zu sehen.