Rote Karte für Provider

Protestaktionen auf der Cebit und in Düsseldorf gegen die Sperrung von rechtsradikalen Webadressen: Der Chaos Computer Club warnt vor einer neuen Welle der Zensur im Internet

von MONIKA GOSCHE

Eine der zahlreichen Traditionen des Chaos Computer Clubs besteht darin, am vorletzten Tag der Cebit eine Versammlung im Messeglände von Hannover abzuhalten. Die Hacker nehmen die Computerbranche, die sich auf der auch in diesem Jahr trotz rückläufiger Besucherzahlen weltgrößten Computermesse selbst feiert, etwas genauer unter die Lupe – und ausgerechnet bei Unternehmen, die ihr Geld mit der Vermittlung des Zugangs zum Internet verdienen, hatten sie diesmal einen besonders schweren Fall von „Kommunikationsverhinderung“ ausfindig gemacht. Die „Rote Netzkarte“ des Chaos Computer Clubs ging an vier im Bundesland Nordrhein-Westfalen ansässige Internetprovider, die, einer Weisung des Düsseldorfer Regierungspräsidenten folgend, ihren Kunden den ungehinderten Zugang zu (mindestens) zwei bekannten rechtsradikalen Seiten sperrten.

Nun ist der Chaos Computer Club über jeden Verdacht der Sympathie mit Neonazis erhaben; was die Hacker an diesem Fall (über den an dieser Stelle mehrfach berichtet wurde) besonders empört, beschreiben sie so: „Von einer zentralen Regierungsstelle erwartet man ja historisch nichts anderes, als dass sie mit der Zeit versucht, für ihre Untertanen zu denken und ihnen später selbiges zu verbieten. Doch aus reiner Angst vor einer umstrittenen Aufforderung haben Provider in einem Akt vorauseilenden Gehorsams direkt gehandelt und bereits kurze Zeit nach einem Gespräch mit der Bezirksregierung in ihr System eine Sperre eingebaut.“

Nur zwei der beschuldigten Firmen waren auf der Cebit vertreten und konnten den Negativpreis des Hackevereins persönlich entgegennehmen. Die eine von ihnen, „Vision Consulting“ aus Köln, gab sich durchaus aufgeschlossen: „Wir unterstützen die Diskussion um Internetinhalte und um die freie Verfügbarkeit des Netzes und denken auch, dass ein erheblicher Diskussionsbedarf besteht“, sagte ein Firmenvertrer am Stand. Die Firma selbst fühlt sich nicht betroffen, da sie auf Wunsch ihrer ausschließlich kommerziellen Kunden ohnehin noch viel umfrangreichere Sperren an ihren Zugangsrechnern einbaue.

Ganz anders am Stand des Düsseldorfer Providers Isis. Ohne eine Stellungnahme abzugeben, verwies die Mutterfirma Arcor die CCC-Mitglieder des Standes und informierte sogleich die Polizei, die dem etwa hundertköpfigen Demozug dann auch weiter durch die Hallen folgte. Beim Forschungsministerium – der nächsten Station – nahm man den Preis wiederum freundlich entgegen und versprach, ihn an den zuständigen Regierungspräsidenten weiterzuleiten. Auch im „demokratischen Medium Internet“ müsse es „natürliche Grenzen“ geben, meinte ein Sprecher des Ministeriums, ohne zu erläutern, was in diesem Fall „Natur“ bedeutet.

Ahnungslose Unis

Völlig überfordert erwiesen sich danach auf der vierten Etappe der Gratulationstour die Mitarbeiter des gemeinsamen Forschungsstands einiger Universitäten in Nordrhein-Westfalen – drei von ihnen (die Uni Dortmund, die TH Aachen und die Fachhochschule Köln) sind ebenfalls der Weisung aus Düsseldorf gefolgt. Obwohl ihnen die Preisverleihung angekündigt war, hatten sie am Stand von der Sperrverfügung noch nie etwas gehört.

Das nun kann auch daran liegen, dass es gerade Computerfachleuten noch immer schwer fällt, die Anordnung der Bezirksregierung Düsseldorf ernst zu nehmen. Regierungspräsident Jürgen Büssow hatte am 8. Februar – kurz vor dem Höhepunkt des rheinischen Karnevals also – rund achtzig Internetprovider schriftlich unter Androhung saftiger Ordnungsstrafen angewiesen, ihre Systeme so zu konfigurieren, dass der Zugriff auf sattsam bekannte US-amerikanische Webpages mit rechtsextremen Inhalten verhindert werde. Die Liste der technischen Weisungen reicht von simplen Manipulationen des Name-Servers bis hin zu Löschung der IP-Adressen aus den Routertabellen oder gar der Pflicht, allen Kunden einen Zwischenserver als Filter vorzuschreiben. „Wer wirklich will und technisch nur ein wenig versiert ist, gelangt trotzdem auf die gewünschten Seiten“ – sagt der Chaos Computer Club.

Aber auch juristisch ist die Düsseldorfer Verfügung wenig überzeugend. Die meisten Provider haben darauf verzichtet, fristgerecht Widerspruch einzulegen – offenbar halten sie das Ganze für einen schlechten Scherz, zumal der Mediendienstestaatsvertrag, auf den sich Büssow beruft, kaum in dieser Form auf das Web anwendbar ist. Dass der Provider Isis als beinahe einzige Privatfirma der Weisung folgte, lässt sich nach Meinung des Chaos Computer Clubs leicht aus dem Unstand erklären, dass Jürgen Büssow im Aufsichtsrat der Firma sitzt. Die Mutterfirma Arcor fühlt sich nicht zuständig. „Die Kiste in Düsseldorf“, so lässt sich ein Mitarbeiter vernehmen, „ist allein eine Geschichte zwischen dem Regierungspräsidenten und den regionalen Providern“.

Die nun sind es endgültig leid, als Prügelknaben dazustehen: „Sperrt man, ist man derjenige, der die Freiheit im Netz einschränkt. Sperrt man nicht, wird man als Förderer des Rechtsradikalismus beschimpft“, klagt ein entnervter Mitarbeiter. Er weiß, wovon er spricht. Die Düsseldorfer Lokalzeitung Rheinische Post kam schon mal mit der ebenso ahnungslosen wie wirkunsvollen Schlagzeile „Provider stellt Nazi-Seiten ins Netz“ heraus. Für eine Firma mit lokalen Kunden sei so etwas „tödlich“, meint der Sprecher von Isis, der keineswegs nur unglücklich ist über den Preis des CCC. Nur möge man den politischen Streit bitte auch politisch lösen.

Gerade politisch aber könnte der Alleingang des Düsseldorfer Beamten weitreichende Folgen haben, warnt der Chaos Computer Club: „Hier entwickelt sich der aus der Glut der Besserwisserei entstandene Funke zu einem ansehnlichen Feuer“, heißt es in dem zur Preisverleihung veröffentlichten Text (koeln.ccc.de/projekte/cccebit/manifesto.html).

Protest auf der Straße

Der Karnevalsscherz drohe zum „entscheidenden Schritt in die falsche Richtung“ zu werden. Statt die Einführung von Filtern voranzutreiben, „deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zumindest fragwürdig“ sei, solle man in Düsseldorf die Energien vielmehr auf die Entwicklung von Medienkompetenz und kritischem Bewusstsein gerade bei jungen Leuten richten. Insbesondere an den Hochschulen erweist sich nach Ansicht des Chaos Computer Clubs die Realitätsferne der Verfügung, werde doch damit Studierenden mit berechtigtem wissenschaftlichem Interesse der Zugang zu Informationsquellen für ihre Arbeit verwehrt. Dass einige Universitäten diesen offensichtlichen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit zuließen, könnte nach Meinung der Hacker auch damit zusammenhängen, dass an diesen Hochschulen auch an der Entwicklung noch wirksamerer Filter gegen unerwünschte Inhalte geforscht werde.

Inzwischen scheinen aber auch dem eifrigen Jürgen Büssow gwisse Zweifel gekommen zu sein. Für den (gestrigen) Mittwoch hat er die nordrhein-westfälischen Provider noch einmal zu einem Gespräch eingeladen. Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Für den Fall, dass auch dieses Treffen ergebnislos verläuft, hat der CCC bereits weitere Aktionen angekündigt und ruft gemeinsam mit linken Organisationen zu einer Demonstration am 6. April in Düsseldorf auf.

Um Parolen sind die Hacker nicht verlegen. Auch wenn der Index unerwünschter Webpages in Düsseldorf bisher noch kurz ausfällt, so gibt es keine Garantien für die Zukunft, wie etliche Beispiele aus diktatorisch regierten Staaten zeigen, in denen technische Maßnahmen, wie sie Jürgen Büssow vorschweben, schon längst Praxis sind. Das Grundrecht auf freie Kommunikation und Information ist nach Auffassung des CCC mit der Sperrverfügung ernsthaft in Gefahr. Nordrhein-Westfalen spiele damit den Vorreiter für eine Entwicklung, an deren Ende die Bundesrepublik Seite an Seite mit Staaten wie Saudi-Arabien, Birma, China, dem Iran oder dem Irak stehen werde.

monika.grosche@web.de