„Habe Konsens erhofft“

Rita Süssmuth hält das Gesetz immerhin für einen „Schritt in die richtige Richtung“

taz: Haben Sie gehofft, dass das Zuwanderungsgesetz den Bundesrat passiert – wenn auch vielleicht unter weniger turbulenten Umständen?

Rita Süssmuth: Ja.

Aber in einigen wesentlichen Punkten unterscheidet es sich doch von den Vorschlägen der Zuwanderungskommission, die Sie geleitet haben.

Es ist wahr, dass nicht alle für uns wichtigen Vorschläge in das Gesetz aufgenommen worden sind, so beispielsweise nicht die Möglichkeit des Schulbesuchs für ausländische Kinder, deren Eltern sich hier illegal aufhalten. Trotzdem stellt das Gesetz, das einen Kompromiss bedeutet, einen Schritt in die richtige Richtung dar. Es ist allemal besser als das geltende Recht. Das gilt für die arbeitsmarktbedingte Zuwanderung ebenso wie für die jetzt geltenden Regelungen zum Aufenthaltsrecht von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Und das gilt erst recht für den Bereich der Integration.

Wenn Sie sich die Diskussionen der letzten Wochen so anschauen: Mögen Sie denn dann die deutschen Parteien noch?

Ich möchte zwischen den Parteien da schon sehr unterscheiden. Wenn alle behaupten, wir brauchen ein Gesetz der Zuwanderung, dann ist es kaum vermittelbar, wenn eine Regelung nach langen Verhandlungen nicht im Konsens erreicht werden kann. Die letzte Fassung des Gesetzentwurfes aus dem Bundesinnenministerium zeigt doch, dass viele Forderungen von CDU und CSU aufgenommen worden sind.

Sie üben vor allem Kritik an Ihrer eigenen Partei?

Ich denke, ein Konsens wäre möglich gewesen, und ich hätte mir diesen erhofft. Es gibt auch Verfahrensmängel bei der regierenden Koalition.

Was hätte denn die Bundesregierung besser machen können, um einen Konsens zu erreichen?

Im Kern muss ich sagen, dass sie einen erheblichen Schritt auf alle Oppositionsparteien und Fraktionen zugegangen ist. Nehmen Sie allein das Beispiel Familiennachzug: Im jetzt geltenden Gesetz können Kinder bis zum Alter von 16 Jahren nachziehen, im neuen Gesetz liegt die Altersgrenze nun bei zwölf. Oder nehmen Sie die Verfahrensbeschleunigung im Asylbereich. Es gibt viele Regelungen, bei denen das Gesetz mit Vorschlägen des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller übereinstimmt, der die CDU-Zuwanderungskommission geleitet hat.

Halten Sie also die Einwände von CDU und CSU gegen das Gesetz für ungerechtfertigt?

Ich bin der Auffassung, dass der Vorwurf, die Zuwanderung werde zu wenig begrenzt, sich aus dem Gesetzestext nicht ableiten lässt. Man muss sich auch einfach ein paar Zahlen anschauen: In den letzten Jahren sind laut amtlicher Statistik jährlich etwa 298.000 Ausländer für einen dauerhaften Aufenthalt hierher gekommen. Dann kann die Behauptung nicht stimmen, dass unsere Großstädte jedes Jahr 500.000 bis 600.000 Ausländer integrieren müssen. Oder nehmen Sie eine andere Zahl: Im letzten Jahr sind 670 Personen in Deutschland aufgenommen worden, die aus geschlechtsspezifischen Gründen verfolgt wurden. Also kann es sich nicht um zigtausende handeln, die hierher kämen, wenn diese Schutzregelung im Gesetz stünde. In keinem der Länder, die in diesen Fällen Asyl gewähren, hat das zu einer Massenzuwanderung geführt.

Meinen Sie, dass der Streit zwischen den Parteien ebenso erbittert geführt worden wäre, wenn nicht in einem halben Jahr Bundestagswahlen stattfänden?

Der Zeitplan hat die Konsensbildung erheblich erschwert. Aber auch vor Wahlen bleibt die Aufgabe von Politikern bestehen, Probleme zu lösen und nicht den Reformstau zu verlängern.

INTERVIEW: BETTINA GAUS