„Wir werden uns auf keinen Fall wegducken“

Der Vorsitzende des Bundesausländerbeirats, Memet Kiliç, fürchtet jetzt fremdenfeindliche Stimmungsmache im Wahlkampf

taz: Herr Kiliç, Sie haben die Zustimmung des Bundesrats zum Zuwanderungsgesetz gefordert. Fühlen Sie sich jetzt als Gewinner?

Memet Kilic: Nein. Wir wären glücklicher, wenn man einen breiteren Konsens auch im Bundesrat gefunden hätte.

War es aus Ihrer Sicht richtig, dass Rot-Grün das Gesetz auf diese Weise beschlossen hat? Statt über den Inhalt wird nur noch darüber diskutiert, ob es rechtmäßig zustande kam ....

Rot-Grün hatte keine andere Wahl, als den Gesetzentwurf jetzt zur Abstimmung zu bringen. Die Union hat ja keine ehrliche Position. Fast alle ihre Wünsche wurden schon erfüllt. Ein Vermittlungsverfahren hätte nichts mehr bringen können – außer weiteren Verschlechterungen für Migranten. Und wer glaubt, dass sich die Union erst jetzt entschieden hat, die Ausländerpolitik zum Wahlkampfthema zu machen, ist naiv.

War es dann auch naiv, so lange einen Konsens zu suchen?

SPD und Grüne haben einen Fehler gemacht: Sie haben Otto Schily lange für einen Gott gehalten und allein machen lassen. Ein linkes Konzept kam deshalb gar nicht auf den Tisch. Stattdessen hat Schily versucht, die CDU rechts zu überholen. Damit hat er eigentlich vernünftige Leute in der Union wie Peter Müller geradezu gezwungen, noch weiter nach rechts zu rücken, um sich überhaupt noch von ihm zu unterscheiden.

Trotzdem haben Sie Schilys Gesetzentwurf unterstützt. Warum?

Weil eine weitere Verschiebung noch schädlicher gewesen wäre. Mit diesem Gesetz wird zum ersten Mal offiziell anerkannt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das ist wichtig, gerade auch für die Migranten in diesem Land. Außerdem wird klargestellt, dass sich Integrationsforderungen nicht nur an die Migranten richten, dass Integration auch eine staatliche Aufgabe ist. Wenn das Gesetz in Kraft ist, kann man immer noch über Verbesserungen sprechen. Wir sind zu sachlichen Diskussionen bereit.

Glauben Sie, dass eine solche Diskussion im Wahlkampf möglich ist?

Das wird in der Tat sehr schwierig. Die Union wird alles daransetzen, eine sachliche Auseinandersetzung zu verhindern. Sie wird versuchen, mit fremdenfeindlichen Anschürereien Politik zu machen, weil sie darauf hofft, damit rechtsradikale Stimmen zu bekommen. Damit vergiftet sie das Klima. Wir haben Ähnliches schon erlebt. Die Ergebnisse waren Rostock, Hoyerswerda, Mölln und Solingen.

Was werden Sie dagegensetzen?

Wir werden uns auf jeden Fall nicht wegducken. Der Bundesausländerbeirat wird sich in den Wahlkampf einmischen und gegen jegliche fremdenfeindliche Misstöne kämpfen. Wir sind keine Gastarbeiter mehr, die sich alles gefallen lassen. Wir können vielleicht diese schäbige Kampagne nicht verhindern, aber wir werden sie nicht lautlos über uns ergehen lassen.

Was erwarten Sie von Rot-Grün?

Eines ist jetzt immerhin sicher: Schily ist entzaubert. Seine Strategie der Zugeständnisse ist erkennbar gescheitert. Ich kann nur hoffen, dass SPD und Grüne jetzt offensiver für eine vernünftige und migrantenfreundliche Politik eintreten werden. Die Bundestagswahl ist auch eine Chance, zu zeigen, dass man mit ausländerfeindlicher Politik keine Wahlen mehr gewinnen kann. Ich glaube, das wird auch der Fall sein. Wir werden sehen, dass die Gesamtbevölkerung eine Gesinnung, wie sie von Herrn Stoiber und Herrn Koch vertreten wird, nicht dulden wird.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF