Statt Kunstproduktion endlich Verwaltungzentrum

In Berlin soll bei den kleinen, innovativen Kunsteinrichtungen gespart werden. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag begann ihre Gegenwehr

Soll Budapest für Berlin die Heizkosten des Künstlerhauses Bethanien übernehmen?

Berlin ist eine sozialistische Stadt. Die Verachtung des Kapitals ist also grenzenlos. Helden sind die, die die größtmögliche Menge an Kapital vernichten. Helden sind daher – auch wenn der ideologisch weniger gefestigte Bürger in seiner Naivität das nicht glauben mag – die Funktionäre der Bankgesellschaft, die spielend zwei, vielleicht aber auch vier Milliarden Euro in den Sand gesetzt haben. Das sind zwar Peanuts gegenüber der Kapitalvernichtung im realsozialistischen Deutschland, bei der der Plan jederzeit übererfüllt wurde, doch eine Herausforderung für den Kultursenator Thomas Flierl, den die PDS, die Nachfolgepartei der SED, stellt, ist das allemal. Wie viel kulturelles Kapital kann wohl er, in der Zwangsnachfolge der ersten ökonomischen Kapitalvernichtung, dem Erdboden gleichmachen?

Die Aufgabe ist umso reizvoller, als das kulturelle Kapital ganz anders geartet ist als das ökonomische. Auch kleine Institutionen, bei deren geringem Haushalt Einsparungen von zwanzig Prozent nie und nimmer eine Summe ergeben, die den Gesamthaushalt des Senators effektiv entlasten, erwirtschaften ein großes kulturelles Kapital, das sich mit einem Federstrich zunichte machen lässt. Besonders schön geht diese Rechnung auf, wenn man die Kulturschaffenden aus dem Haus jagt, um die Verwalter von Kultur hereinzuholen. So soll es jetzt beim 1992 gegründeten Podewil geschehen, einer der innovativsten deutschen Produktionsstätten im Bereich von Musik, Tanz, Theater, Performance sowie Medienkunst. Die Karrieren von Theaterregisseuren wie Stefan Pucher und René Pollesch, von ChoreografInnen wie Sasha Waltz, Xavier Le Roy oder dem Neue-Musik-Ensemble zeitkratzer verdanken sich den Produktionsmitteln des Podewil, seinen modernst ausgestatteten Probenstudios und Aufführungsbühnen, oder seinem 1995 mit Sasha Waltz gestarteten Artist-in-Residence-Programm.

Doch anders als die international bekannte Choreografin Meg Stuart, die im Podewil ihr erstes deutsches Gastspiel gab und die dort in der nächsten Woche im Rahmen der „Körperstimmen“ wieder auftritt, weiß Kulturstaatssekretärin Krista Tebbe, sei das Podewil „als Veranstaltungsort ohnehin ungeeignet“. Weshalb es als Produktions- und Aufführungsstätte geschlossen wird, sämtliche 16 Mitarbeiter des Hauses ihre Kündigung erhalten und das Künstlerprogramm entfällt. Stattdessen wird der Museumspädagogische Dienst einziehen. Mit dessen Umzug ins Podewil lassen sich Mietkosten von 812.000 Euro einsparen, sagt Krista Tebbe, die wie der Kultursenator wohl mit der dpa, nicht aber mit der betroffenen Institution spricht. Wilhelm Großmann, Leiter der Kultur- und Veranstaltungs-GmbH, der Trägergesellschaft des Podewil, kann es ja in der Zeitung nachlesen, was mit seinem Haus passiert. Die Veranstaltungs-GmbH, deren Etat um 750.000 Euro „abgesenkt“ wird, soll, so Tebbe, „ihre Arbeit als Verwaltungszentrum für kleinere Berliner Theater und Kunstzentren verstärken“. Das dürfte freilich nur gelingen, wenn die kleinen Theater und Kunstzentren, denen die Mittel auch gekürzt werden, sich ebenfalls in Verwaltungen und Verwaltungszentren verwandeln. Denn Berlin ist eine sozialistische Stadt und liebt als solche die Apparate und die Pädagogik; keinesfalls aber künstlerische Testgänge in unerprobtem Gebiet, gar einfallsreiche Korrektive zur Repräsentationskultur, die der Stadt wert und teuer ist. Den „neuen Bitterfelder Weg in den Boulevard“ nannte Christoph Tannert, künstlerischer Leiter des Künstlerhauses Bethanien, die Flierl’schen Sparansätze auf der vorgestrigen Pressekonferenz, auf der die betroffenen Institutionen zur Gegenwehr ansetzen. Auch sein Haus gehört dazu. Knapp 650.000 Euro öffentlicher Mittel für die Gehälter der Angestellten und Sachzuwendungen stehen 350.000 Euro an Drittmitteln gegenüber, die überhaupt eine Projektarbeit ermöglichen. 25 Atelierstipendien, Publikationen, Kataloge, eine Zeitschrift und Ausstellungen werden so über selbst eingeworbene Gelder von Sponsoren und Partnerinstitutionen in aller Herren Länder finanziert. Hier gibt es keinen Spielraum mehr für „Absenkungen“. Soll Budapest für seinen Künstleraustausch mit Berlin die Heizkosten des Künstlerhauses bezahlen?

Die Befürchtung, dass Flierl tatsächlich glaubt, man könne die privaten Geldgeber für die Betriebskosten interessieren, äußerte denn auch Anselm Franke, Kurator der zehn Jahre alten Kunst-Werke, die gleichfalls ihre gesamte Projektarbeit über privates Geld finanzieren. Nun soll ihr Budget im Haushalt 2002/2003 mit 100.000 Euro um 20 Prozent gekürzt werden. Anselm Franke dürfte Recht haben. Schließlich ist Berlin eine sozialistische Stadt, und die Verachtung des Kapitals, die hier gepflegt wird, zeigt sich auch an anderer Stelle. Wenn nämlich möglichen Sponsoren, denen das Musikleben der Stadt am Herzen liegt, die Komische Oper angeboten wird, um dort tugendhaft zu kleckern. Die große Staatsoper unter den Linden aber, deren Haushalt keineswegs so übersichtlich ist und einigermaßen wohlgeordnet wie der Haushalt der Komischen Oper, diese Staatsoper also, bei der die Sponsoren richtig, freilich auch repräsentativ klotzen könnten, die bekommen die Geldgeber nicht. Das wäre ja noch schöner. Die bezahlt die öffentliche Hand, auch wenn die Hoffnung auf Public-Private-Partnership nur umgekehrt einen Sinn macht.

Berlin hat einen sozialistischen Kultursenator, der im Detail wenig von seinem Aufgabenbereich versteht, im Großen und Ganzen aber den vollen Durchblick hat. Der Staat natürlich, der Bund wird es schon richten, wenn die paar hunderttausend Euro Einsparungen bei den genannten Institutionen, beim Berufsverband Bildender Künstler, dem Literaturhaus in der Fasanenstraße oder bei den Freunden der Deutschen Kinemathek kein Geld sind in Hinblick auf die 27 Millionen Euro, die Flierl fehlen. Und so wird auch hier das Geld der anderen (vor-)schnell verplant und denen zugesagt, die man nicht verprellen will, den großen Theatern, Opern und Orchestern. Erinnert das nicht an die Zeiten der CDU-Regierung und an Kultursenator Radunski? Nein, die sozialistische Stadt Berlin ist keine neue Errungenschaft. Was es nicht besser macht. BRIGITTE WERNEBURG