„Jo san jetz mir die Deppen?“

„In meiner Heimat, im Bayerischen Wald, geht man mit Fremden locker um“„Allein durch die Liebe zu Bayern kommt ja seit Jahren eine starke Zuwanderung“

Interview: STEFAN KUZMANY

taz: Herr Fischer, nicht zuletzt wegen des „Bullen von Tölz“ sind Sie zur Zeit der medial erfolgreichste Bayer.

Ottfried Fischer: Nachdem Stoiber bewiesen hat, dass er mir im Fernsehen nicht das Wasser reichen kann.

Genau.

Hört er wahrscheinlich öfter.

Weil es ja sein könnte, dass ein Bayer bald Bundeskanzler wird, sollten wir einige Unklarheiten über das Wesen des Bayerischen ausräumen. Ist zum Beispiel Uschi Glas spezifisch bayerisch?

Uschi Glas (siehe Glossar) steht schon für Bayern, das heißt, für eine Facette Bayerns. Die Uschi Glas ist eher die staatstragende Schauspielerin, während der Bulle von Tölz eher der Subversive ist. Uschi Glas hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie für die CSU ist. Aber insgesamt hat Uschi Glas dem Bayernbild meiner Ansicht nach nicht geschadet, eher im Gegenteil. Da kann man allerdings geteilter Meinung sein.

Brav, Sauber, Adrett – sind das Attribute, die Sie den Bayern zuschreiben würden?

Sie benehmen sich zumindest brav, sauber und adrett. Ob sie es auch sind, ist eine andere Frage.

Der schöne Schein spielt eine große Rolle.

Uschi Glas gehört in die Riege der Schauspielerinnen und Schauspieler, mit denen wir Bayern ganz gut verkaufen können. Sie hebt das bayerische Image. Das tut auch Carolin Reiber, allerdings auf eine Art, die mir nicht so recht ist. Aber Bayern lebt von seiner Vielfalt. Es gibt eine Volkstheaterkultur im Bauerntheaterbereich bis Peter Steiner, die ich nicht sehr begrüße. Aber es gibt im Gegensatz dazu ein Scharfrichter-Haus in Passau. Bayern hat immer auch nach dem Prinzip Druck und Gegendruck, Repression und Befreiungsversuch funktioniert. Das hat die kritische Kunst befruchtet.

Der Reichenhaller Hans Söllner, der sich zum Kiffen bekennt, auf der Bühne Politiker beschimpft und deshalb ständig mit der Obrigkeit prozessiert, würde woanders doch wohl kaum beachtet werden.

Woanders würde er gesendet, in Bayern eben nicht. Hans Söllner war schon eine Legende, weil er nicht ausgestrahlt worden ist. Aber die Jugendlichen kannten seine Lieder. Die Lockerheit im Umgang mit der Droge, die für Söllner stimmen mag, weil er sie religiös begründet, würde ich allerdings nicht gelten lassen für Jugendliche. Söllner handelt hier nicht sonderlich verantwortungsvoll seinem Publikum gegenüber, das noch leicht lenkbar ist.

Er lebt von der Provokation.

Weil sich jemand aufregt. Am Nockherberg zum Beispiel, der berühmte Starkbieranstich, ist eine relativ staatstragende Geschichte. Aber die Politiker sind sich nicht zu blöd, sich dann auch drüber zu ärgern. Das macht natürlich Spaß. Und erstaunlich ist ja am bayerischen Menschen, dass er zwar zu zwei Dritteln CSU wählt, aber sich freut, wenn ihr ans Bein gepinkelt wird. Das sogenannte Derblecken ist eine bayerische Grundtugend. Und wenn es einen erwischt, der kann noch so hoch sein in Staat, Partei oder Klerus: die Leute haben eine riesen Gaudi, wenn es gezündet hat. Das ist ja der Grund für diese ganze Volkstheaterära. In München gab es um die Jahrhundertwende gut zweihundert Brettl, also Bühnen, auf denen Gstanzl, also Spottlieder gesungen wurden. Man hat sich damit ein bisschen Luft gemacht. Ich glaube nicht, dass das deutsche Kabarett 1900 bei Wolzogen in Berlin entstanden ist. Dort ist es kanalisiert worden. Aber viel mehr sind diese Brettl und Gstanzl und auch Hofnarren und Bänkelsänger dafür verantwortlich.

Ist Zuwanderungsbegrenzung typisch bayerisch?

Es ist erstaunlich, dass Edmund Stoiber, der größte Feind der Zuwanderungsbegrenzung, de facto als Beiratsmitglied beim FC Bayern München schon Greencards an seine brasilianischen Spieler verteilt hatte. Das ist im Prinzip nichts anderes. Dabei ist die Zuwanderungsbegrenzung kein bayerisches Problem. Sie ist ein Ausnützen der intellektuellen Ressourcen jener, die sonst sowieso nicht viel haben. Es ist sowieso eine Schande, dass wir Informatiklehrstühle zumachen und dafür in Indien die Leute abziehen. Es ist pervers für einen hoch industrialisierten Staat, dass wir so locker und schandbar mit unseren intellektuellen Ressourcen umgegangen sind. Aber man will in Bayern nicht wahr haben, dass wir inzwischen eine multikulturelle Gesellschaft sind und Einwanderungsland. Das ist auch kein Problem. Wenn ich in Deutschlands auf Tournee bin und um sechzehn Uhr in der Provinz ankomme, dann muss ich zum Ausländer gehen, weil ich keinen Deutschen finde, der mir etwas kocht.

Trotzdem scheint die Abgrenzung in Bayern tief verwurzelt zu sein, die strenge Unterscheidung. Entweder ist man einer oder man ist keiner, und das bekommt man auch immer zu spüren.

Ja, das bekommt man immer zu spüren. Ich kann da nur für Niederbayern sprechen. In Oberbayern ist es vielleicht noch ein bisschen abgegrenzter. Da ist der Preiß ein Preiß und der Bayer ist der Bayer. In meiner Heimat, im Bayerischen Wald, geht man mit Fremden sehr locker um. Ich bin ja selbst einer – mein Vater war Westfale. Der war zwar nie letztlich dazugehörig. Aber er war integriert und anerkannt. Das kann man in Bayern schon haben. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, da waren vier kurdische Asylanten bei uns am Ort. Die waren jeden Abend im Wirtshaus und die Leute waren begeistert. Das Problem war, dass man auf einmal angefangen hat, in ein Dreihundert- Seelen-Dorf zweihundert Ghanaer herein zu tun. Das kann nicht hinhauen. Da ist Integration unmöglich. Der Bayer, der auch vom Tourismus lebt, ist a priori nicht fremdenfeindlich, er ist sogar sehr neugierig. Bis es ihm zuviel wird oder er merkt, es geht ihm an die Substanz, also an die Identität. Wobei der Oberbayer mehr Angst hat, weil er mehr so ein Trachtensepp ist als der Niederbayer.

Woher kommt diese große Angst um die Identität?

Der Bayer hat ein ganz schlechtes Selbstwertgefühl. Jahrelang waren wir die Deppen der Nation. Bevor die Ostfriesen kamen, wurden über die Bayern Witze gemacht. Wir wurden als hinterwäldlerisch angeschaut. Und anstatt dass der Bayer sich das Schöne des Hinterwäldlerischen auf die Brust schreiben würde, eben wie schön es bei uns ist, hat er eher ein schlechtes Gewissen, dass er für einen Deppen gehalten wird. Mein Onkel, ein Westfale, hat folgendes in einer Fernfahrerkneipe erlebt: Da saß ein Bayer, der ständig Ostfriesenwitze erzählt hat zum Gaudium des ganzen Tisches. Da war ein Ostfriese dabei, der hat einen einzigen Bayernwitz erzählt. Da hat ihm der Bayer eine runtergehaut. Sich ans Zeug flicken lassen ist nicht die große Stärke des Bayern. Und sogar heute, wo wir vom Nehmerland zum Geberland mutiert sind, wo wir einen guten Ruf haben in der restlichen deutschsprachigen Welt – der Bayer traut dem Frieden nicht. Und hat Angst, dass er zum Deppen gehalten wird. Benimmt sich dementsprechend unsicher, was letztlich auch dazu führt, dass man ihn nicht ganz für voll nimmt.

Der Bayer verkrampft.

„Jo san jetz mir die Deppen?“ ist gern die Frage, die rhetorisch gestellt wird und die man sich insgeheim ein bisserl mit Ja beantwortet. Aber was soll man dagegen tun?

Aktionismus verstärkt den Eindruck noch.

So ist es.

Also bleibt der Bayer lieber unter seinesgleichen. Ist die absolute Mehrheit der CSU untrennbar mit Bayern verbunden?

CSU und Bayern wird gleichgesetzt. Das schaffen die einfach. Das geht mit der Wahl der Embleme los, mit den Farben, mit den Symbolen. Bayern ist CSU – auch wenn es jetzt ein bisschen aufhört, wie man bei den Kommunalwahlen gesehen hat. Weil man jetzt mehr auf Personen schaut und die Probleme globaler geworden sind und man auch nicht mehr eine reine bayerische Gesellschaft hat, sondern sehr viele Einflüsse von außen. Allein durch die Liebe zu Bayern kommt ja seit Jahren eine starke Zuwanderung, die sogenannten Zuagroasten, die sich in Bayern wohl fühlen. Die letzten waren die von der Elektronikindustrie, die vom Strauß ins Land geholt worden sind, was auch unser Segen ist. Das führt zu einem gewissen Umdenken, auch von der CSU weg. Aber es reicht natürlich noch nicht, um die absolute Mehrheit abzuschaffen.

Ist die Gleichsetzung von CSU und Bayern eine Lüge?

Es stimmt natürlich so nicht. Es stimmt augenscheinlich. Die Mehrheit möchte es vielleicht so sehen. Oder sieht es so. Deswegen ist es nicht ganz falsch, dass man es in einer gewissen Weise gleichsetzen kann. Man darf aber nicht übersehen, dass es sehr starke Gegenbewegungen gibt. Die bayerische SPD gehört nicht dazu, die ist relativ schwach. Kabarett und Kleinkunst, da ist schon etwas geboten in Bayern. Insofern gibt es auch ein etwas anders geartetes Bayern. Aber das macht nicht die Mehrheit aus. Und deshalb ist es nicht ganz falsch, wenn man es optisch, von außen her betrachtet, Bayern und CSU gleichzusetzen. Man kann es einem nicht verübeln, wenn er es so sieht. Was ich allerdings nicht gelten lassen würde.

Warum?

Ich kenne viele Kräfte, die auch politisch sind. Und komischerweise gibt es das sogar in der CSU. Da die CSU eine so große Partei ist, vereinigt sie ja alles vom blöden rechten Bierdimpfl bis hin zum kulturbeflissenen Schöngeist, der hier nicht die Chance hat, CDU zu wählen. Diese ganz breit angelegte Partei, die es schafft, sich die bayerische Identität zu eigen zu machen. Für den Bayern ist die Identität sehr wichtig. Was auch einen gewissen Reiz hat. Die Leute mögen den „Bullen von Tölz“ auch deswegen, weil sie sagen: Man merkt halt noch, dass es ein Bayer ist. Man hat etwas, woran man sich festhalten kann. Wenn du irgendwo auf dieser Welt nachts blind aus dem Flugzeug gestoßen wirst, und du nimmst die Augenbinde ab, und du bist in Bayern gelandet, dann weißt du, dass du hier bist. Das weißt in keinem anderen Land so genau. Die Tracht, der Zwiebelturm, das Gespräch mit Einheimischen -–es ist vollkommen klar: Bayern ist schon Bayern. Das gibt den Leuten eine Vertrautheit. Und im Zeitalter der Globalisierung, in dem wir leben, ist so ein Heimatgefühl beliebt bei den Leuten. Es ist mit Recht so, dass einer Entwurzelung entgegengewirkt wird. Ich bin zum Beispiel noch in der Kirche, im katholischen Verein dabei.

Sie gehen auch hin?

Nein. Für mich ist das ein weltanschaulicher Trachtenverein. Da ist man einfach dabei – wollte ich austreten … ich müsste etwas mit Stumpf und Stiel bei mir ausrotten. Nicht wegen dem Glauben. Das ist einfach mein Verein.

Wir müssen jetzt noch über Ihr Verhältnis zum FC Bayern München sprechen.

Ich bin Sechz’ger.

Verstehe.

Wenn an einem Bundesligaspieltag der TSV 1860 München verliert, ist mir das eigentlich egal, wenn der FC Bayern nicht gewonnen hat, weil eine klammheimlich Freude mein Leid überwiegt. Jetzt ist der TSV 1860 München nicht die SPD und nicht die linke Seite im Spektrum. Aber im Gegensatz dazu kann man trotzdem sagen: der FC Bayern ist die CSU des Fußballgeschäfts. So wie die Evangelischen die SPD des Christentums sind, so ist der FC Bayern für mich die CSU des Fußballs.

Verstehen Sie, dass die Leute dieses Bayerische aggressiv macht? Diese großkotzige FC- Bayern-Mentalität?

Der FC Bayern hat das gleiche Problem, wie es die Bayern überhaupt haben. Da merkst Du es ganz deutlich. Die sind nämlich eigentlich gar nicht souverän, die haben nur eine große Klappe. Wenn der FC Bayern Deutscher Meister wird, dann freut er sich nicht uneingeschränkt, dass er es geschafft hat, sondern er ärgert sich, dass ihm andere das nicht gönnen. Deswegen ist es so symptomatisch, dass man, obwohl man jetzt einen Weltpokal gewonnen hat, immer noch glaubt, man wird nicht für voll genommen.

Inwiefern ist die Toleranz in Bayern verwurzelt?

Letztlich stark ist der Bayer nur, wenn er hinlangen kann. Aber Hinlangen ist ein Zeichen von Schwäche. Der Bayer ist nur insofern tolerant, dass er den gelten lässt, der es akzeptiert, wenn der Bayer sagt „Mir san mir“.

Kein besonders weit gefasster Begriff von Toleranz.

Im Katholizismus ist Toleranz nie eine Tugend gewesen. Keuschheit, Armut und Gehorsam, das sind katholische Tugenden, aber Toleranz war keine christliche Tugend. Das wäre ja furchtbar. Wenn Toleranz eine Tugend wäre, dann wäre ja die ganze Inquisition nicht zulässig.

Toleranz würde einen Verlust der eigenen Werte bedeuten.

Toleranz wäre für den Bayern, der gerne zulangt, ein Zeichen von Schwäche. Obwohl es ja den Begriff der liberalitas bavariae gibt. Das wird gern mit Liberalität übersetzt, ist aber eine falsche Übersetzung. Das hat ursprünglich die Freigebigkeit der Fürsten bezeichnet, die die Künste und die Künstler unterstützt haben.

Ach so.

Liberalitas ist eigentlich nicht Freiheitlichkeit, sondern Freigebigkeit. Die Liberalitas ist, seit wir Geberland sind, auch nicht mehr so groß. Wir waren früher viel mehr von der Freigebigkeit der anderen Bundesländer erfreut als wir jetzt selbst freigebig sind. Was uns ja auch nach vorne gebracht hat. Aber Dankbarkeit ist nicht gefragt in diesem politischen Geschäft.

Vielleicht noch ein paar Worte zum Kanzlerkandidaten Doktor Edmund Stoiber …

Ich komme doch in meinem Leben nicht auf die Idee, eine „Stoppt Stoiber!“-Plakette zu tragen. Er schafft es leider nicht mal zu polarisieren. Alle sagen immer, Ihr Kabarettisten habt es schön, jetzt könnt Ihr über den Stoiber wieder etwas sagen. Nach einer Woche spätestens ist aber über Stoiber alles gesagt. Und zum zehnten Mal, dass er Frau Merkel mit Frau Christiansen verwechselt, ist ein bisschen schwach, ein bisschen wenig. Was nicht heißt, dass er nicht trotzdem Kanzler werden kann, weil die anderen in einem so desolaten Zustand sind. Den Leuten geht es nicht so sehr darum, einen hin zu wählen, als einen weg zu wählen.

Hat Stoiber denn das Zeug zum Kanzler?

Ich glaube nicht. Man nimmt bundesweit den Bayern immer noch nicht so für voll, dass man ihm die Kanzlerschaft zutraut. Nicht nur Stoiber, sondern prinzipiell. Das hat nicht mal der Strauß geschafft.

Der hat ja nun zu sehr polarisiert.

Naja, er hätte ja zwei Prozent mehr für sich polarisieren können, dann hätte es gereicht. Stoiber dagegen könnte eher auf einer Welle der Unzufriedenheit schwimmen und hochgeschwemmt werden. Aber an ihm selber liegt es garantiert nicht.