Zerschnitten und zerstückelt

Rollstühle aus Messerklingen, blutrote Glasperlen als Grenzlinien, Faustschläge und zermalmte Früchte: In der Ausstellung „In weiter Ferne, so nah“ in der Berliner ifa-Galerie hat der Kurator Jack Persekian palästinensische Künstler ausgewählt, die sich mit der Gewalt in ihrem Land auseinander setzen

von SILKE LODE

Täglich hören wir in den Nachrichten von den Krisengebieten in der ganzen Welt. Schon der Alltag von Millionen von Menschen bleibt für uns schwer vorstellbar. Und dennoch gibt es selbst unter schwierigsten Bedingungen Kunstschaffende. In diese Kunstszenen will das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) einen Einblick geben.

Einen Anfang macht die Ausstellungsreihe „Focus Nahost“, die im Januar in der Berliner ifa-Galerie mit dem israelischen Teil „Re-thinking“ begonnen hat und jetzt mit neuer palästinensischer Kunst unter dem Titel „In weiter Ferne, so nah“ fortgesetzt wird. Mit Mona Hatoum, Noel Jabbour, Khalil Rabah und Raeda Saadeh hat Kurator Jack Persekian Künstler verschiedener Generationen und mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund ausgewählt. Während die 25-jährige Raeda Saadeh gerade erst ihren Abschluss in der Tasche hat, ist Mona Hatoum durch zahlreiche Ausstellungen in der ganzen Welt bekannt. Alle vier Künstler sind an verschiedenen Orten tätig: Khalil Rabah arbeitet in Ramallah, Noel Jabbour in Jerusalem, Saadeh ist gerade nach Berlin umgezogen und Hatoum lebt schon seit 1975 in London.

In den relativ begrenzten Räumlichkeiten der Galerie besetzt jeder Künstler mit seinen Arbeiten eine Nische, Mona Hatoum etwa mit ihrem Rollstuhl, dessen Griffe Messerklingen sind, die jeden Helfer drohend abweisen. Ihr Feld aus über 2.200 Seifenstücken aus Olivenöl hat sie mit einer Spur aus blutroten Glasperlen versehen, die die Grenzlinien der heute von Palästinensern bewohnten Enklaven markieren. Die Videoinstallation von Raeda Saadeh wirft durch verschiedene Spiegel zerstückelte Bilderfetzen an die kahlen Wände: den Tanz einer jungen Frau mit einem Skelett, spielende Kinder, demonstrierende Massen, eine einsame Braut. Noel Jabbour hat eine schöne Fotoserie palästinensischer Innenräume aufgenommen. Die dokumentarischen Bilder zeigen Armut und Zerfall, die Vorliebe für nationalen Kitsch und den Versuch, die eigenen vier Wände individuell zu gestalten – auch wenn nur ein paar Pfauenfedern zur Verfügung stehen.

Ursprünglich sollten der israelische und der palästinensische Teil der Ausstellungsreihe gemeinsam gezeigt werden. Jack Persekian sagt unverblümt, dass er von Anfang an gegen dieses Projekt war. Das Institut für Auslandsbeziehungen hat den Plan schließlich wegen der eskalierenden politischen Lage aufgegeben. Persekian will Kunst zeigen – und nicht Politik. Eine klare Position. Geht sein Konzept auf?

Persekian schreibt im Katalog zur Ausstellung, dass die künstlerischen Entwürfe den Findungsprozess verschiedener palästinensischer Identitäten ins Bewusstsein rücken. In der Tat lassen sich die Werke nicht auf gemeinsame Aspekte, auf eine kollektive Identität reduzieren. Aber es erstaunt nicht, dass alle vier Künstler die Frage der Gewalt thematisieren. Etwa Khalil Rabah in seinem Video „Beat it!“, in dem in ständiger Wiederholung kleine grüne Früchte mit einem Faustschlag zermalmt werden. Oder in seinem Entwurf eines Messers, dessen Klinge bis tief ins Heft reicht und jedem Benutzer die Hand zerschneidet. Noel Jabbour zeigt die Gewalt indirekt in ihrer Bilderreihe zum Thema „Märtyrerfamilien“. Auch in Mona Hatoums Silber-Gelatine-Print „Tiefen der Hölle“, der fein säuberlich aufgereihte Messerklingen zeigt, wird Gewalt thematisiert. Gewalt ist eine Erfahrung, die alle Palästinenser teilen, seit sich ein palästinensisches Nationalbewusstsein entwickelt hat. Die Erfahrung ist so alt wie der Konflikt mit Israel.

Vielleicht hat Persekian Recht, und die Israelis müssen erst ihr Verhältnis zur eigenen Regierung und zur eigenen Identität klären, und erst dann sind gemeinsame Projekte wieder denkbar. Aber die Ausstellung zeigt trotzdem nicht „nur Kunst“, sondern Werke, deren hochgradig politischer Charakter sofort auffällt. Allerdings hat in den Entwürfen zur palästinensischen Identität Israel keinen Platz. Und wenn, dann nur in Abgrenzung. So will es das Konzept. Dass Kooperation auf der künstlerischer Ebene ebenso wenig möglich ist wie auf der politischen, zeigt einmal mehr, welche Distanz zwischen diesen Nachbarn liegt.

„In weiter Ferne, so nah“. Neue palästinensische Kunst. ifa-Galerie Berlin, bis zum 26. Mai 2002. Katalog: 8 €