„Frauen sind intelligenter“

Von der schwierigen Kunst, ein Macho zu sein: Ein Gespräch mit dem kubanischen Schriftsteller Pedro Juan Gutiérrez über penetrierende Männchen, provozierende Weibchen, das Elend als Rohstoff für Romane und die Heiligkeit der Literatur

Interview BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

taz: In Ihrem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch „Schmutzige Havanna Trilogie“ schlägt sich die Hauptfigur durch den Alltag und als Überlebenshilfe dient exzessiver Sex. Kann man die Realität wegvögeln?

Pedro Juan Gutiérrez: Es ist nicht nur Sex. In dem Buch gibt es Rum, Musik, Elend, kleine Betrügereien, die die Leute begehen, um zu überleben. Wenn man in einer extremen Situation ist, sucht man sich Auswege: Alkohol, Drogen, Sex oder was auch immer. Wie ein Ablassventil. Die Hauptfigur hat in erster Linie Sex, promiskuitiven Sex, um zu überleben.

Wieso?

Kuba ist ein Land von Mischlingen. Diese Mischung aus hauptsächlich Afrikanern und Spaniern ist wunderbar. Ich glaube, dass wir alle, auf die eine oder andere Art, Mischlinge sind, vom Blut oder von der Kultur her. Das bewirkt eine große Sensualität und Freude an der Musik. Die Sexualität und die Freude am Körper stehen für Lebensfreude.

Und diese Sensualität macht das Leben leichter?

Ja. Außerdem machen wir uns in Kuba über alles lustig. Selbst über die schrecklichsten Dinge, die passieren. Ich bin schlecht im Witzeerzählen, aber es gibt immer Witze. Über die Rede von jemanden, über Spanier, die wegen der Prostituierten nach Havanna kommen.

Eine Reihe deutscher Verlage winkte bei Ihren Büchern ab, Ihre Literatur sei zu sexistisch, die Hauptfigur ein Obermacho. Um in Ihrem Sprachstil zu bleiben: Haben Sie Angst, dass aufgebrachte deutsche Frauen Ihnen die Eier abschneiden könnten?

Bei einer Lesung in Köln ist eine Feministin etwas aggressiv gegen mich geworden. Ich habe ihr gesagt: „Erwarte keine Birne von einer Ulme, denn sie hat keine.“ Ich schreibe nur über das, was ich sehe. Wenn ich über Männer schreibe, die Machos sind, dann sind es Machos, Männchen, und die Frauen sind keine Frauen, sondern Weibchen. Das vergessen die Feministinnen oft. Um mich herum leben keine Schweden, sondern Kubaner. Der kubanische Machismo funktioniert nicht nur als penetrierender Macho. Es gibt das penetrierende Männchen und das provozierende und verführerische Weibchen vom Typ Eva. Wem das nicht gefällt, der soll die Gesellschaft ändern, aber nicht mich angreifen.

In Deutschland ist der Begriff Macho negativ besetzt. Was ist für Sie ein Macho?

Zuerst: Ich glaube nicht an die Unterscheidung zwischen Heterosexuellen, Homosexuellen und Bisexuellen. Ich glaube, dass wir alle sexuelle Wesen sind mit sehr privaten Optionen. Das sind persönliche Entscheidungen, die man respektieren muss. Zweitens: Ich lebe in einer Machogesellschaft mit einer langen Tradition, die auch noch viele Jahre eine Machogesellschaft sein wird. Es hat mich viel Kraft gekostet, meine extremen Machohaltungen zu ändern. Das hat mit innerem Wachstum zu tun. So, wie ich über den tropischen Macho schreibe, muss ich bereits eine Distanz dazu haben. Sonst könnte ich nie über solche Männer schreiben und auch nicht über die Frauen, die dir ihren Bauchnabel zeigen und dich ständig provozieren, damit du eine Erektion bekommst. Was habe ich gelitten, nicht so zu sein, wie mein Großvater es war, wie mein Vater es war und wie es mein Bruder ist! Einmal habe ich in Kuba einen nationalen Journalisenpreis gewonnen mit einer Chronik über die schwierige Kunst, ein Macho zu sein. Ein Text, mit der ich mich lustig mache über den Macho, der immer eine Erektion haben muss, der Schlosser, Tischler und Maler auf einmal sein muss, der Geld und vier Frauen gleichzeitig haben muss, der der ewige Verführer sein muss. Da bekommt man doch einen Herzinfarkt! Die Frauen hingegen sind intelligenter, sie sind ruhiger und passiver. Während der Mann mit sechzig Jahren an einem Herzinfarkt stirbt, lebt die Frau noch zwanzig Jahre glücklich weiter. Da habe ich gemerkt, es ist kein gutes Geschäft, zu sehr Macho zu sein.

Und wenn Ihnen nun Kritiker vorwerfen würden, die Provokation als Mittel der Kommerzialisierung zu verwenden?

Die Kritiker können sagen, was sie wollen. Was mich viel mehr stört, sind langweilige Autoren, die, um auf Nummer Sicher zu gehen, das schreiben, von dem sie annehmen, dass es den Leser und den Verleger interessiert. Ich will damit nicht sagen, dass mir Verleger und Leser total egal sind. Aber wenn ich schreibe, gibt es nur mich und die Figuren. Für mich ist die Literatur etwas sehr Heiliges. Als Rohstoff dient mir das, was um mich herum geschieht. Wenn die Menschen um mich herum Machos und autoritär sind und im Elend leben, kann ich die Realität doch nicht verdrehen! Wenn ich im Radio höre, dass einer die Leber von Menschen aus dem Leichenschauhaus klaut und verkauft, dann mache ich daraus eine Geschichte. Ich werde nie ein Autor für ein Millionenpublikum sein. Das ist mir ganz klar.

Wer ist Ihr Publikum?

Die Leser müssen sein wie ich. Etwas rebellisch, etwas verrückt, nicht bourgeois, nicht rechts, nicht reaktionär. Menschen, die etwas riskieren und keine Angst vor dem Leben haben. Wenn es hundert sind, sind es hundert. Wenn es tausend sind, dann tausend. Wenn es 500.000 sind, umso besser. Mir ist es egal, wie viele Bücher ich verkaufe. Ich habe dreißig Jahre lang geschrieben, ohne einen Centavo zu verdienen. Ich habe immer weitergeschrieben und die Themen gesucht, über die ich wirklich schreiben will. Und da mache ich keinerlei Zugeständnisse. Ich denke, der kleine Raum an Gedankenfreiheit, der uns Menschen bleibt, ist die Literatur, und diesen kleinen Platz müssen wir bewahren und konservieren, genauso wie den intelligenten Leser, der daran teilnimmt.

Der exzessive Lebensstil Ihrer Hauptfigur war jahrelang auch der Ihre. Wie lange wollen Sie das noch machen?

Um ehrlich zu sein, ich muss den Stadtteil wechseln. Ich spiele mit dem Gedanken, aus der Altstadt von Havanna in ein kleines, einfaches Haus am Strand zu ziehen, etwas außerhalb. Ich plane drei Bücher, die in anderen Epochen spielen. Eins über die 60er, 70er in der Provinz in Kuba, eins 1952 in Havanna und einen Polizeiroman, den ich schon entworfen habe. Ich will meinen Rohstoff jetzt woanders suchen.

Warum?

Jedes Mal, wenn ich ein Buch beende, geht es mir eine Zeit lang schlecht.

Zu viel Rum, Marihuana und Sex?

Nein, nicht nur das. Ich bringe mich sehr emotional ein. Bisher habe ich sehr autobiografisch geschrieben, exzessiv autobiografisch. Ich mache einen ständigen Striptease. Jetzt brauche ich etwas Distanz und eine andere Atmosphäre.

Als Sie „Die schmutzige Havanna-Trilogie“ begannen, flüchteten tausende Kubaner von der Insel. Kam Ihnen, zumal mit dem jetzigen Erfolg, nie dieser Gedanke?

Nein. Ich konnte zum Glück schon seit 1982, da war ich 32 Jahre, außerhalb Kubas reisen. Wenn man reist, kann man vergleichen. Ich bin nicht der typische Kubaner, der auf der Insel eingeschlossen ist und der irgendwohin will. Gott sei Dank musste ich diese furchtbare Erfahrung nicht machen. Es interessiert mich nicht, von Kuba wegzugehen. Ich habe vier Kinder, der Älteste ist 24 Jahre, die Kleinste 1 Jahr.

Um bei Ihrer Hauptfigur Pedro Juan zu bleiben: Vier Kinder von vier verschiedenen Frauen?

(lacht) Nein, von drei Frauen. Dann ist da noch meine alte Mutter, die heilig für mich ist. In Kuba sind meine Wurzeln. Ich bin hundert Prozent Kubaner, und wenn Gott will, sterbe ich in Kuba.

Ihre Bücher werden in Spanien publiziert. Erreichen sie auch die Kubaner?

Meine Bücher wurden bisher in neun Ländern publiziert, aber bisher nicht in Kuba. Zurzeit gibt es auch keine Perspektive. Aber trotzdem gibt es viele, vor allem Spanier, die mehrere hundert Exemplare nach Kuba bringen, so dass meine Bücher in Kuba im Umlauf sind.

Glauben Sie, dass Ihre Bücher irgendwann in Kuba veröffentlicht werden?

Ich denke schon. Es gibt einen guten Verlag, Letras Cubanas, die versuchen wollen, „Tropisches Tier“ zu veröffentlichen.

Hat Fidel Castro schon einmal von Ihnen gehört?

Nein, das glaube ich nicht. Er lebt in einer sehr komplizierten Welt mit sehr viel Verantwortung. Aber er war immer ein großer Leser und ein Freund von Hemingway und García Márquez.

Sollte er eins Ihrer Bücher lesen?

Ich weiß nicht. Ich möchte keine politischen Fragen beantworten.

Was hat sich am meisten geändert mit Ihrem Erfolg?

1999 habe ich den Journalismus sein lassen. Ich hatte etwas Geld, um mich ausschließlich der Literatur widmen zu können und auch der Malerei. Ich kann mir besseren Rum leisten, für 5 Dollar die Flasche, und muss nicht mehr den schlechten trinken und kann mir auch besseren Tabak kaufen. Ja, das Leben ist ein bisschen besser geworden.

Welche Schriftsteller haben Sie beeinflusst?

Julio Cortázar und Franz Kafka sind zwei ganz große Schriftsteller für mich. Ich habe auch direkte Einflüsse von den besten nordamerikanischen Erzählern des 20. Jahrhunderts. Als ich mit 15 oder 16 Jahren „Frühstück bei Tiffany“ von Truman Capote las, da wusste ich, so will ich schreiben. Mit 18 Jahren habe ich dann beschlossen, Schriftsteller zu werden. Es war wie ein großes Geheimnis – wie wenn man eine verheiratete Frau liebt und es ein großes Geheimnis nur zwischen der Frau und dir gibt. Wie eine sehr heimliche und heilige Romanze war auch immer mein Verhältnis zur Literatur. Es ist wie Liebe machen: Was zwischen mir und der Literatur passiert, ist sehr privat, sehr intim.

Was ist mit Henry Miller und Charles Bukowski, mit denen Sie oft verglichen werden?

Das sind Erfindung der Verleger, die immer Vergleiche suchen. Als ich die „Schmutzige Havanna Trilogie“ schrieb, schenkte mir jemand, ich glaube, „Wendekreis des Steinbocks“, und ich habe versucht, es zu lesen. Aber es hat mir nicht gefallen. Und Bukowski habe ich nicht gelesen.