„Die Israelis stehen mit dem Rücken zur Wand“

Der Publizist Ralph Giordano wendet sich gegen eine pauschale Verurteilung des israelischen Vorgehens in den Palästinensergebieten

taz: Herr Giordano, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie derzeit die Bilder aus Palästina sehen?

Ralph Giordano: Die Bilder sind schlimm und sie schmerzen mich. Überall, wo Menschenrechte verletzt werden, muss dagegen protestiert werden. Doch diese einheitliche antiisraelische Verdammung, wie sie besonders in den deutschen Medien stattfindet, ist mir zu homogen. Ich empfinde diese Art der einseitigen Berichterstattung als illoyal, illegitim und einfach feindlich. Sie provoziert meinen mir von den Nazis injizierten Fluchtinstinkt.

Haben Sie denn kein Verständnis für das Erschrecken über das Vorgehen der israelischen Armee?

Ich will von denjenigen, die jetzt lauthals den vermeintlichen israelischen Aggressor anprangern, wissen, ob auch für sie die Menschenrechte unteilbar sind. Wenn das nicht der Fall ist, dann fallen sie für mich durch das Raster. Nehmen Sie nur einmal diese Friedensmarschierer. Ich erinnere mich noch gut an die große Anti-Golfkriegs-Demonstration Anfang der 90er-Jahre in Bonn: Auf den Transparenten antiisraelische, antiamerikanische Sprüche. Nur den Namen eines Mannes hab ich vergebens gesucht: Saddam Hussein. Der war nicht da, den gab es nicht für diese Demonstranten. Und genauso ist es diesmal wieder.

Es ist nicht nur die Friedensbewegung, die gegen die Politik Scharons protestiert.

Ja, leider. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Norbert Blüm von einem „hemmungslosen Vernichtungskrieg“ oder Möllemann von „Staatsterrorismus“ spricht. Es kommen da Worte hoch, die in einer ganz anderen Zeit geboren wurden und von denen Juden existenziell betroffen waren. Wer weiß, was der Vernichtungskrieg der Nazis bedeutete, darf so etwas nicht sagen.

Trotzdem werden Sie heute mit Jürgen Möllemann in Köln über Extremismus in Deutschland diskutieren?

Nach seinem taz-Interview habe ich meine Teilnahme abgesagt. Der Ungeist, der mir da entgegenspringt, den kann ich nicht aushalten.

Wie bewerten Sie die Aktionen der israelischen Armee?

Es tun zur Zeit viele so, als sei die Operation „Schutzwall“ aus einem historischen Vakuum heraus entstanden. Das stimmt eben nicht. Auch ich halte die Operation für nicht verhältnismäßig. Aber gerade diese Unverhältnismäßigkeit zeigt mir die tiefe Verzweiflung, die dahinter steckt. Damit will ich nicht verteidigen, was nicht zu verteidigen ist. Ich war oft in Israel und auch in den besetzten Gebieten. Die Not der Palästinenser muss gewendet werden, daran führt kein Weg vorbei. Und natürlich ist Scharon für den Friedensprozess ein Unglück. Nur müssen wir uns fragen, welcher Voraussetzung es bedurfte, dass eine Mehrheit der Israelis einen Mann zum Ministerpräsidenten gewählt hat, von dem jeder wusste, dass er kein Friedensengel war.

Das alles ist eben keine einseitige Geschichte. Ich möchte den Leuten, die nichts anderes wissen, als Israel zu einer einseitigen Einstellung der Feindseligkeiten aufzufordern, mal zu einer Mutter oder einem Vater führen, deren Tochter oder Sohn von einer lebenden Bombe zerrissen worden ist.

Aber das Reaktionsschema Scharons, auf einen Angriff immer noch härter zu reagieren, ist doch ein untaugliches Mittel bei Menschen, die offensichtlich ohnehin nicht sehr viel Wert auf ihr eigenes Leben legen.

Ja, das ist das große Problem. Wie kann man sich gegen einen Irrationalismus wehren, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts seinen Anhängern verspricht, ins Paradies zu kommen, wenn sie sich selber in die Luft sprengen und andere in den Tod reißen? Was ist das für eine Gesellschaft, in der die Eltern nach außen hin diesen Märtyrertod bejubeln und höchstens dann weinen, wenn die Kameras nicht dabei sind?

Welche Perspektive sehen Sie für Israel?

Ich bin so ratlos wie noch nie. Die Wahrheit ist: Das einzige Land, das mit dem Rücken zur Wand steht, ist Israel. Nicht die Palästinenser, die Syrer, Jordanier oder Ägypter – die Israelis sind in ihrer biologischen und staatlichen Existenz elementar bedroht. Ich kann nur sagen: Israel hat bisher vier Kriege gewonnen. Wehe, wenn es auch nur einen einzigen verloren hätte. Dann gäbe es Israel nicht mehr. Was wird mit Israel? Das ist die Frage, die mich ununterbrochen beschäftigt. INTERVIEW: PASCAL BEUCKER