das gute buch
: Die Philosophie des Reisens

Warum Flaubert scheiterte

Die hohe „Kunst des Reisens“ ist erlernbar. Der so betitelte Essayband des schweizerisch-britischen Philosophen Alain de Botton über „Erwartungen“, „Wissbegierde“ und „die Erlangung des Schönen“ liefert alles, was dazu notwendig ist.

Das Material, mit dem de Botton die Psychologie der großen Erwartung, der Erschließung des Fremden, der privaten Erfüllung analysiert, führt zu Zielen, die so fern und exotisch sein können wie die Halbinsel Sinai, aber auch so nah und gewöhnlich wie das eigene Schlafzimmer. Am Beispiel Gustave Flauberts erklärt er, was man vermeiden sollte. Der Schriftsteller stilisierte seine Vorstellung von Ägypten zum utopischen Ideal, in dem sich alles, was er an seiner Heimat hasste, in Wohlgefallen auflöste. Eine Reise zum Nil konnte die Projektion nur zum Einsturz bringen. Zugleich war er nicht fähig, das reale Ägypten schätzen zu lernen. Er verfehlte sein Ziel gleich in zweierlei Hinsicht.

Konsequent rät de Botton, auf instruierende Reiseführer zu verzichten: Sie würden gleich den Träumen Flauberts nur Erwartungen programmieren, die den Blick auf die Dinge verstellen. Literatur und Kunst hingegen preist er als Appetitmacher und exerziert am eigenen Beispiel, wie sie aus einer Landschaft ein Erlebnis machen. Die Provence: Ohne Vincent van Gogh und seine existenzialistisch-vitalen Gemälde wäre sie ein von verkrüppelten Olivenbäumen und hässlich proportionierten Zypressen geprägter öder Landstrich. Der Maler erweiterte die Landschaft um eine Interpretation ihrer selbst. Es entstand ein mehrdimensionaler Raum, und nur an einem solchen können Reiseort und Ich zur Einheit werden.

Kunst „schult uns darin, Gefühle bewusster wahrzunehmen, die wir uns vorher vielleicht nur zaghaft oder flüchtig gestattet haben“, schreibt de Botton. Kunst ist also dasselbe wie Reisen. Ohne sie kann es kein Glück des Umherstreifens geben. Und ohne das Reisen, ohne das Umherschweifen wiederum kann keine Kunst entstehen. MARTIN DROSCKE

Alain de Botton: „Kunst des Reisens“. 281 Seiten, Fischer 2002, 19,90 €