„Wir haben einfach einen anderen Zweck“

Die Aufgabe, Schnittstelle zu sein: Hortensia Völckers als künstlerische Direktorin und Alexander Farenholtz als Verwaltungsdirektor leiten die neu gegründete Bundeskulturstiftung in Halle. Im Gespräch erläutern sie ihre Vorstellungen zu den Zielen und Programmen ihres Hauses

von HARALD FRICKE
und BRIGITTE WERNEBURG

taz: Nach 22 Uhr, so der Fahrplan der DB, dauert es von Berlin nach Halle sieben Stunden. Muss in Berlin für Sie, Frau Völckers, früher getanzt werden?

Hortensia Völckers: Nein, die Künstler sollen dann anfangen, wenn die Zeit für sie die beste ist. Ich will ihre Produktionsbedingungen ja verbessern und nicht behindern. Ich sehe kein Problem, die Dinge wahrzunehmen, die ich sehen möchte, auch von Halle aus. Es ist ja auch ein Vorteil, hier in Halle zu sein.

Trotzdem, Sie haben jetzt Stellen ausgeschrieben. Von den Leuten, die Sie haben möchten, Herr Farenholtz, schreckt es nicht doch viele ab, nach Halle zu gehen?

Alexander Farenholtz: Zunächst einmal gibt es natürlich sehr viele Bewerbungen, was mit der Arbeitsmarktsituation zu tun hat. Ich kann nur sagen, dass wir im administrativen Bereich, in dem wir ausgeschrieben haben, aus den neuen wie den alten Ländern sehr gute Bewerbungen bekommen haben.

Hortensia Völckers: Ich möchte das noch ergänzen, um es deutlicher zu machen. Es würde keinen Sinn machen, eine Stiftung, wie sie in Berlin aussehen würde, mit aller Gewalt nach Halle zu verpflanzen. Auch wenn das der erste Impuls ist. In ein paar Jahren wird man hoffentlich sehen, dass wir diesen angeblichen Standortnachteil genutzt haben. Schließlich kann man es auch positiv sehen, dass man gezwungen wird, Abstand zu dem schnellen Markt zu haben, dass da ein Moment der Entschleunigung reinkommt.

Diese Distanz ist im Moment aber auch eine zwiespältige Angelegenheit. Die Kulturszene in Berlin ist in den letzten Wochen finanziell extrem unter Druck geraten. Da fragt man sich, ob Sie nicht womöglich froh sind, dass die neu gegründete Bundeskulturstiftung nicht automatisch ranmuss? Weil sie keine Institutionenförderung betreiben darf?

Hortensia Völckers: Also froh ist man in dieser Situation nie, und ich bedaure ohne jede Einschränkung die Leute, die jetzt unter diesen Kürzungen leiden werden. Mir steht diese Szene, wie jeder weiß, sehr nahe. Wir können aber im Moment tatsächlich gar nichts tun. Wenn wir uns in der institutionellen Förderung engagieren, dann können wir in kürzester Zeit keine innovativen Projekte mehr finanzieren. Insofern schließt sich das aus. Wir müssen sehen, dass sich die Dinge anders regeln, ohne uns. Wir können mit diesen Veranstaltern und Orten projektgebunden zusammenarbeiten.

Ihnen sind die Hände gebunden. Aber wenn man liest, dass die Bundeskulturstiftung den Ankauf der Sammlung Marzona für die Nationalgalerie in Berlin unterstützen will, während gleichzeitig das Podewil dichtgemacht wird, dann ergibt sich am Ende doch ein unschönes Bild. Oder wie sehen Sie das?

Hortensia Völckers: Was soll ich Ihnen sagen? Wir haben einfach einen anderen Zweck. Zunächst einmal hat die Stiftung zwei Arme, zwei Bereiche. Einer davon ist der rezeptive Teil, eine allgemeine Projektförderung, für die man sich bewerben kann und über die dann eine Jury entscheidet. Da reagieren wir auf Impulse von außen und sind sehr breit angelegt. In dem anderen Bereich, den wir Programme nennen, schlagen wir dem Stiftungsrat Themen vor. Im Gründungsjahr sind das Themen wie „Stadt und Kultur“, wie „Die kulturelle Dimension der deutschen Einheit“ oder „Kulturelle Herausforderungen des 11. September“ und ein Regionalschwerpunkt Osteuropa. Wir haben mal mit vier Schwerpunkten angefangen, damit auch gezeigt werden kann, was die Basics sind. Das ist eine Sache, die mit dem Stiftungsrat entschieden wird, der hier eine wichtige Rolle hat. Diese Themen arbeiten wir im Moment in Programme aus, die wir Mitte Juli bei der nächsten Sitzung präsentieren werden. Ein solches Programm kann sich aber noch über Jahre entwickeln, und ich kann nicht voraussehen, was wir in fünf Jahren machen. In einem Programm können dann verschiedenste Förderinstrumente eingesetzt werden. Wir können auf Projekte, die sich gerade entwickeln, zugehen; wir können Kuratoren bestimmen; wir können Publikationen, Austausch, Preise anregen, was immer für diesen Sektor, den wir fördern wollen, das richtige Instrument ist.

Wenn Sie und der Stiftungsrat Themen ausarbeiten, was ist dann die Rolle der Künstler? Sollen sie sich auf diese Themen bewerben? Ist das nicht staatliche Auftragskunst, ein bisschen schicker gedreht?

Hortensia Völckers: Nein, wir verstehen uns nicht als eine Institution, die den Künstlern ein Thema aufdrückt, und die müssen sich danach bewerben. „Stadt und Kultur“ ist kein neues Thema, das ist so alt wie der Milchkaffee. Es geht darum, in einem Themengebiet Projekte, die von gesellschaftlicher Bedeutung sind, umzusetzen. In einem interdisziplinären Zugang. Wir haben dabei Berater, die uns die internationale Defizitlage erläutern, um zu hören: Wo fehlt es, was gibt es Neues, was ist für Deutschland interessant, wo müssen wir in einen Dialog rein. Und dann wird man Institutionen finden, die an solchen Sachen ein Interesse haben. Ich schaue eben, wer arbeitet gerade in diesem Bereich, was machen die, was würden die gerne machen, aber können es nicht usw. Dazu braucht man ein gutes Netzwerk. Das ist unsere Aufgabe, Schnittstelle zu sein und zwischen einem stark politischen Gremium, wie es der Stiftungsrat ist, und einer Kulturszene im nationalen und internationalen Bereich zu vermitteln.

Die Kompetenz der Bundeskulturstiftung für internationale Kulturarbeit ist unbestritten. Kommen Sie da nicht in Konkurrenz zur Kulturarbeit des Auswärtigen Amtes und dem Goethe-Institut? Oder fühlen Sie sich gegenseitig gestützt?

Hortensia Völckers: Wir fühlen uns hoffentlich beide gestützt, alle Institutionen. Wir werden nicht nur notgedrungen, sondern im Sinne der Projekte notwendigerweise kooperieren. In unserem Stiftungsrat sind auch das Auswärtige Amt vertreten und Hilmar Hoffmann, der zwar nicht mehr das Goethe-Institut vertritt, der uns aber dennoch sehr gut beraten kann. Ich denke, für die anderen ist es ein Vorteil, wenn wir nun kommen. Und für uns ist es ein Vorteil, dass es die anderen schon gibt.

Es wäre also denkbar, dass Sie Projektmittel für eine Sache geben können, die das Goethe-Institut in Los Angeles anschieben möchte?

Hortensia Völckers: Natürlich. Wir sind jetzt nicht für jeden, der im Goethe etwas machen möchte, zuständig. Aber man wird sich gegenseitig informieren, beraten und gegebenenfalls auch gemeinsam Projekte entwickeln.

Ursprünglich wollte Michael Naumann diese Stiftung ja ins Leben rufen, um die Frage der Beutekunst zu bearbeiten. Ist das eigentlich noch ein Thema?

Alexander Farenholtz: Also, Beutekunst ist schon gesellschaftspolitisch ein Thema. Ich kann mir vorstellen, dass sich die Stiftung damit befassen wird. Aber nicht in dem Sinne, dass hier operativ Geld zur Verfügung steht, um etwa Rückkäufe zu organisieren. Das ist auch nicht mehr das Verständnis, mit dem diese Sache im Moment von der Bundesregierung behandelt wird. Ein Punkt ist ganz wichtig. Wir sind nicht die Bundesregierung. Wir sollten uns da auch nicht instrumentalisieren lassen. Was nicht ausschließt, dass man sich mit dem Thema Beutekunst auseinander setzt.

Hortensia Völckers: Es gibt ja eine Menge Themen, die aufgrund unserer Geschichte problematisch konnotiert sind. Die können einzelne Gruppen vielleicht gar nicht aufgreifen, weil das nicht in ihr Programm passt. Da können wir beispielsweise Forschungsaufträge vergeben oder Symposien veranstalten. Dann wird man sehen, ob so ein Thema aufgegriffen wird.

Der kulturelle Aufbau Ost, sagten Sie an anderer Stelle, soll ein besonderes Thema der Stiftung sein? Sind Sie die Ombudsfrau des Ostens?

Hortensia Völckers: Es gibt noch immer eine Schieflage. Plötzlich hat man wieder jemanden aus dem Osten vergessen. Daran merke ich, dass es noch kein Gleichgewicht gibt. Es gibt immer noch einen Mangel an gegenseitiger Wahrnehmung. Dieser Mangel und die unzulängliche Vernetzung sind das Problem zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil Deutschlands. Deswegen wollen wir eine kleine Studie machen, um zu sehen, was ist weggekommen, was ist dazugekommen, wo sind die nach vorne schauenden Initiativen, wo gibt es Potenziale künstlerischer und kultureller Initiativen und innovativer Netzwerke. Wir betrachten das als eine notwendige Ergänzung zum bestehenden Blaubuch. Wenn mir zum Beispiel in Istanbul oder in Hongkong ein Projekt angeboten wird, dann weiß ich von Karlsruhe bis Köln und München, wo meine Partner sitzen. Ich möchte gewährleisten, dass es diese Listen in zwei bis drei Jahren genauso für den Osten gibt; dass ich für eine tolle Veranstaltung sofort die Partner in den neuen Bundesländern vorschlagen kann.

Alexander Farenholtz: Ich glaube, der Begriff Ombudsfrau ist falsch. Es geht nicht um eine Interessenvertretung des Ostens gegenüber dem Westen. Es geht um zwei Themen. Das eine ist eine Asymmetrie der gegenseitigen Wahrnehmung. In Warschau weiß man, was in Paris und in London stattfindet, aber umgekehrt weiß niemand, was in Warschau stattfindet, obwohl es genauso interessant ist. Das andere ist die Stadt als kulturelles Ereignis, etwa mit den explosionsartigen Wachstumsprozessen der so genannten Megacitys oder den dramatischen Schrumpfungserscheinungen in ostdeutschen Städten. Das sind Themenfelder, die die Stiftung kulturell besetzen möchte. Nicht im Sinne einer Interessenvertretung.

Können Sie so etwas wie eine Public-Private-Partnership eingehen? Können Sie ein Attraktor für weiteres Geld werden?

Alexander Farenholtz: Ja, das ist ausdrückliches Ziel, dass sich die Stiftung auch als Serviceplattform für private Stifter anbietet, um deren Mittel unter deren Namen mitzuverwalten. Auch wenn sich ein privater Sponsor an einem Projekt beteiligt, ist das natürlich kein Hinderungsgrund für uns, da mit einzusteigen, im Gegenteil. Aber jetzt muss ich los: nach Halle.