Gattinnen als Wunderwaffe

Im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahlen schicken Amtsinhaber Chirac und Regierungschef Jospin ihre Frauen vor. Sie unterscheiden sich stärker als die Kandidaten selbst

Die Ehefrauen stehen für Kulturen, die so verschieden sindwie Tag und Nacht

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Ich schicke meine Frau nicht vor“, tönte der sozialdemokratische Premierminister Lionel Jospin, „in der Republik ist Wahlkampf schließlich keine Familienangelegenheit.“ Das war vor einem Jahr. Kommunalwahlen standen an, und Jacques Chirac, der sich als Präsident aller Franzosen diskret im Élysée-Palast zurückhielt, entdeckte die Wunderwaffe an seiner Seite: Die Handtasche fest im Griff und das konstant blonde Haar hoch toupiert, tourte Bernadette Chirac durchs Land, sprach vor vollen Sälen über traditionelle Familienwerte, über die Unsicherheit auf den Straßen und über die Verdienste ihres Gatten und verhalf den Rechten zur Eroberung zahlreicher Rathäuser.

Jetzt hat ihr Beispiel Schule gemacht. Sylviane Agacinski, über die Landesgrenzen hinaus bekannte Philosophin, hat nach langem Hadern mit der Rolle als „Gattin von …“ ihre Forschungsarbeit hintangestellt. Statt mit „Geschlechterpolitik“, so der Titel des letzten ihrer bisher fünf Bücher, befasst sie sich mit dem öffentlichen Lob ihres Ehemannes Jospin. Dem Boulevardblatt Parisien versichert sie, er sei „schon immer feministisch“ gewesen. Den Fotografen des Hochglanzmagazins Paris Match öffnet sie die Tür zu ihrer Wohnung, in der ein Faxgerät auf dem Küchentisch steht.

Bernadette (68) und Sylviane (56) sind die besonderen Merkmale der beiden Spitzenkandidaten in diesem Präsidentschaftswahlkampf. Während das Volk Mühe hat, die politischen Unterschiede zwischen den Gatten herauszufinden, die seit fünf Jahren einvernehmlich die Geschäfte Frankreichs führen, verkörpern ihre Frauen zwei sehr unterschiedliche Kulturen.

Die eine wettert gegen Scheidungen, Abtreibungen und „Schwulenehe“. Die andere schreibt Essays über die Gleichberechtigung, verlangt gleichen Lohn für gleiche Arbeit und lobt die gesellschaftspolitischen Reformen vom Vaterschaftsurlaub bis zur Verlängerung der Abtreibungsfrist. Die eine verkörpert die – auch katholischen – Werte in der „France Profonde“ – das tiefe Frankreich – und war wegen ihres von Spitzendesignern gepflegten „Oma-Looks“ lange selbst der eigenen Tochter Claude, Image-Beraterin des Staatspräsidenten, peinlich. Die andere ist Repräsentantin des schicken, intellektuellen und selbstverständlich säkularen Paris von der linken Seite der Seine.

Die blaublütig als Mademoiselle Chodron de Courcel geborene Bernadette, die ihren Gatten auch nach 47 Ehejahren siezt, hat ihr Leben in den Dienst seiner Karriere gestellt. Sie macht Lokalpolitik in der zentralfranzösischen Corrèze. Sie ist Präsidentin wohltätiger Stiftungen. Und anlässlich eines seiner Seitensprünge mahnte sie ihren Gatten einst: „Ohne mich werden Sie nie Präsident.“

Die aus einer Einwandererfamilie stammende Sylviane Agacinski hingegen hatte längst Karriere gemacht und allein ihren heute 17-jährigen Sohn großgezogen, als sie in den 80er-Jahren den damaligen Erziehungsminister Jospin kennen lernte, den sie 1994 heiratete. Für ihn war es die zweite Ehe. Sie behielt ihren Mädchennamen. Die PS hofft, dass sie ihrem Gatten zu Stimmen auf der Linken verhilft.

In Frankreich galt für Spitzenpolitiker bislang die ungeschriebene Regel: Eine Frau hat mann, aber sie bleibt im Hintergrund. In diesem Wahlkampf sind von den 16 Kandidaten für das am 5. Mai neu zu besetzende Amt im Élysée-Palast nur vier weiblichen Geschlechts. Dennoch spielen Frauen eine größere Rolle. Bernardette Chiracs Buch über ihr Leben mit Jacques („Conversation“) ist mit über 300.000 verkauften Exemplaren der Bestseller dieses Wahlkampfes. Und wenn Sylviane Agacinski erklärt, sie werde auch nach einem etwaigen Wahlsieg ihres Gatten weiterhin als Philosophin arbeiten, ist das ein Medienereignis.