„Bollywood liegt im Trend“

Mira Nair sieht das moderne zeitgenössische Indien im Film untrennbar mit Bollywood verbunden. Sie hat darin ihre eigene Variante gesucht. Interview mit der Regisseurin von „Monsoon Wedding“

taz: Frau Nair, Ihr Film „Monsoon Wedding“ handelt von Generationskonflikten und Tabuthemen im heutigen Indien. Sie erzählen davon in der Form des klassischen Bollywood-Kinos, mit Tanzeinlagen und Überhöhungen.

Mira Nair: Ich wollte einen Film über das moderne, zeitgenössische Indien machen. Damit ist Bollywood untrennbar verbunden.

   Dieses Song-and-Dance-Kino gehört zu unserem Leben, wir sind damit aufgewachsen. Ich komme aus einer Mittelklassefamilie, und als Teenager schaute ich verächtlich auf das Bollywood-Kino herab, weil es mir so kitschig vorkam. Inzwischen liegt es aber voll im Trend, und die heutige Jugend ist richtig stolz auf Bollywood. Man trägt in Indien heute Gucci, Prada und Miniröcke – aber wenn ein Bollywood-Song im Radio kommt, wird abgerockt.

Wie haben Sie Ihre eigene Bollywood-Form gefunden?

Meine Familie hat mich immer angefleht, ich solle endlich einmal einen richtigen Bollywood-Film drehen. Aber natürlich war mir klar, dass er nicht die klassische Song-and-Dance-Form haben kann, denn darin gibt es richtige Meister, mit denen ich mich gar nicht messen kann. Also habe ich eine „abgeschwächte“ Form gewählt, die zwar Musikeinlagen hat, aber nicht von Anfang bis Ende die Bollywood-Ästhetik übernimmt.

In Ihrem Film spielt die Musik eine zentrale Rolle. Die Menschen singen vor sich hin, sie singen bei der Arbeit und erst recht beim Feiern.

Die indische Popmusik durchdringt den Alltag total. Die Leute atmen damit. Auch ich höre von morgens bis abends Musik und habe in den Film meine Lieblingssongs eingebaut, eine Mischung aus traditionellen Volksliedern, Techno, Rock und klassischen Liebesliedern aus Bollywood-Filmen.

„Monsoon Wedding“ folgt einer Familie bei gigantischen Hochzeitsvorbereitungen. Ist es wirklich wahr, dass sich moderne indische Familien dabei fast ruinieren?

Wenn eine Tochter geboren wird, beginnt die ganze Familie, Geld zu sparen – bis zum Tag der Hochzeit. Mit der Hochzeit der Tochter zeigt man der Welt, dass man etabliert ist und dass man sein Kind mit der besten aller möglichen Ausstattungen in den Haushalt des Bräutigams und damit in die Welt entlässt. Tatsächlich ruinieren sich manche Familien dafür.

Sie nutzen die Hochzeit auch als dramaturgisches Mittel.

Bei einer indischen Hochzeit in der Mittelschicht kommt die Familie aus allen Ecken der Welt zusammen. Da kann man natürlich wunderbar von Konflikten sprechen und Spannungen aufbauen.

In Ihrem Film kommen bei dem Familientreffen auch Tabus ans Tageslicht. Ein Handlungsstrang erzählt von Kindesmissbrauch.

Ich drehe nun mal keine lustigen Sonntagnachmittagsfilme. Und in Indien gibt es einen großen Druck, über gewisse Dinge nicht zu sprechen. Alles, was mit Sexualität zu tun hat, gehört dazu. Für mich war der Monsunregen in meinem Film auch Metapher für eine gesellschaftliche Katharsis, eine Art Aufforderung, solche Dinge nicht mehr unter den Teppich zu kehren.

In diesem Zusammenhang spielt die Familie in Ihrem Film eine zwiespältige Rolle. Sie gibt dem Einzelnen Sicherheit, aber sie kann auch eine Last, ein Albtraum sein.

Das Interessante an indischen Familien ist, dass sie den Einzelnen zwingen, selbstlos zu sein. Man muss erst an die anderen denken und dann an sich. Das ist natürlich ein gutes Lebenstraining. Man bekommt ein Gefühl für Großmut.

  Die negative Seite daran ist, dass der Einzelne dabei regelrecht zerquetscht werden kann. Es kommt auch vor, dass ein Familienmitglied, das sich der absoluten Autorität dieses Zusammenhangs nicht fügt, ausgestoßen wird.

Die junge Frau in Ihrem Film wirkt sehr emanzipiert. Trotzdem wird ihr Bräutigam von den Eltern ausgesucht. Wie passt das zusammen?

Die arrangierte oder, sagen wir, halb arrangierte Heirat gibt es in allen indischen Bevölkerungsschichten. Der Ablauf ist aber so, dass die Familie die Brautleute einander vorstellt. Dann folgt eine Zeit von mehreren Monaten, in der man sich gegenseitig den Hof macht und in aller Ruhe herausfinden kann, ob man zueinander passt. Es ist also nicht mehr wie in alten Zeiten, als die Eltern das Schicksal der Kinder bestimmen konnten.

INTERVIEW: ANKE LEWEKE