zwischen den rillen
: Der Sinn hinter dem Sample: Wechsel Garland

Bilder in Bildern

Noch einer von diesen heimwerkelnden Elektronikfricklern? Während des Zivildienstes die Gitarre entdeckt, es dann mit einer Band probiert, in der musikalischen Gruppendynamik zu oft angeeckt und schließlich am Einmannarbeitsplatz Computer gelandet? Das kann es doch nicht gewesen sein! War es auch nicht, so viel verriet schon Jörg Follerts erstes Album, das er unter dem Projektnamen „Wunder“ veröffentlichte: Eben nicht die technische Wundertüte des Samplings, sondern das Verharren im Moment der tiefsten atmosphärischen Durchdringung eines Musikschnipsels machte aus dem virtuellen Easy-Listening-Orchester des Kölners eine glühend gefühlvolle Erfahrung.

Sample oder handgemachte Instrumenteneinspielung, am Ende hoben sich die Bedeutungen gegeneinander auf. Die leise Intimität autistisch umeinander trudelnder Fender-Rhodes-Melodien, Streicher, gehauchter Gesänge und Glockenspiele öffnete sich – wurde gleichsam öffentlich – und begann sachte am Image der viel beschworenen unendlichen Möglichkeiten zu kratzen. Zu Recht, denn zunehmend frustrierend geriet in den letzten Jahren die blindeifernde Suche nach immer neuen „interessanten“ Schublädchen und immer mehr hermetischen Welten innerhalb der elektronischen Musik, und nicht selten endete der mikroskopische Blick auf noch kleinere feinere Einheiten des Klangerlebens bei gepflegter Langeweile.

Entschlossener noch als zuvor will deshalb Jörg Follert mit seiner dritten CD einer Festschreibung auf die Rolle des introvertierten Tüftlers entgegentreten. Der Screen-Designer im Erziehungsurlaub stellt das Musikmachen – oder vielmehr das Motto: Was macht Musik? – stärker in den Mittelpunkt seines Lebens und verweigert sich einmal mehr dem bloßen Reproduzieren hipper Ästhetiken. So gesehen, mag seine vorangegangene zweite CD, die erste unter dem Namen Wechsel Garland, als Läuterung vor der nächsten Entwicklungsstufe gelten, denn er selbst nimmt in den märchenhaft surrealen Klängen wie aus einem Orff’schen Spieluhrballett rückblickend eskapistische Tendenzen wahr.

Schon mit dem aktuellen CD-Titel „Liberation Von History“ verursacht Jörg Follert alias Wechsel Garland gewissermaßen eine semantische Implosion. War es ursprünglich doch gerade die Funktion und Bedeutung von Samples, die Musik aus ihrer Geschichte zu befreien, kann es hier nicht so einfach um dasselbe gehen – der einstige (allerdings ebenso unfreiwillige wie erfolglose) Klavierschüler Follert hat die meisten Parts von Melodika, Vibrafon, E-Piano und Gitarre selbst gespielt und aufgenommen.

Im Unterschied zu „Wunder“, das wie auf einem Lieblingstape persönliche audiovisuelle Erinnerungen sampelt und ausstellt, verstärkt „Liberation Von History“ den Aspekt von „Bildern in Bildern“ auf der Suche nach originärer Identität. In durcheinander geratenen Filmsoundtrack-Fragmenten tauchen da, wie aus der „Fabelhaften Welt der Amélie“, die gestörten Figuren aus 70er-Jahre-Dramen von Robert Altman auf. Die hysterischen Dialoge zum enigmatischen Flüstern gedimmt, flimmern sie durch schemenhafte Jazzgewebe und Off-Beat-Walzer aus Streichern, Flöten und Orchester-Loops. Ein zärtliches, heiser elektronisch knisterndes Instrumentenesperanto, das unermüdlich raunend Klischees aus Klischees herauslöst.

Auf der Kippe zum Wahn markiert Jörg Follerts Falsettstimme im Stück „The Master“ die Wende – bildlich, sowie bei der Vinylausgabe tatsächlich. Als Opener der zweiten Seite bereitet der beinahe psychedelische Singsang den Wechsel in plastischere Bewegungen vor, in einen scheinbar koordinierteren Break-Dub-Rhythmus. Im Titelstück „Liberation Von History“ wird sampletechnisch HipHop angerissen, nur um gleich wieder zu verschwinden mitsamt allen Dub-Assoziationen. Stattdessen dubt es im falschen Szenario weiter, schieben sich die dezent-satten Beats langsam durch Sixties-Krimis und James-Bond-Kulissen – geschüttelt bitte, nicht gerührt!

Die Dub-Bässe polarisieren, zwischen Seite A und Seite B, zwischen Idee und Feeling, aber gerade durch dieses Polarisieren fällt der sehnsüchtige Blick umso stärker auf das, was verbinden, was dazwischenliegen könnte.

Das Umdrehen der Platte als symbolischer Akt, die Schizophrenie mit einem Brückenschlag zu heilen. Jörg Follert sieht sich als Vermittler, der in seinen Sounds, ob gesampelt oder originär, solche eigenen Aussagen zu treffen sucht, mit denen sich Verbindungen, Vernetzungen herstellen lassen inmitten des künstlerischen wie realsozialen Wahnsinns aus Isolierung, Zersplitterung, Zerfaserung. Hier ist ein Musiker – ganz banal, ganz allumfassend – auf Sinnsuche. Und die führt weder einfach nur zurück zu Gitarre und Gesang, noch eindimensional in die schillernde Zweifelhaftigkeit technisch-musikalischer Progression. Nein, was einen an Jörg Follerts Musik so berührt, ist die äußerst latente Vehemenz und Euphorie, mit der er sein „weder noch“ formuliert und es – in wunderschönen Bildern, aber mit seltsam widerspenstigen Vokalen auf der Zunge – nach vorne wirft. PINKY ROSE

Wechsel Garland: „Liberation vonHistory“ (Karaoke Kalk/Kompakt/Groove Attack)