„… was wir für Wahrheit halten“

„Was bis jetzt in diesem Krieg passiert ist, war der einfachste Teil“

Interview BERND PICKERT

taz: Als Sie Ihren Aufruf veröffentlicht haben, war der Krieg gegen Afghanistan längst im Gange, und es gab weder in den USA noch international eine nennenswerte Opposition. Warum haben Sie diese Initiative zur Unterstützung der Regierung überhaupt gestartet?

David Blankenhorn: Wenn so etwas Schreckliches passiert, hat man das Gefühl, irgendetwas tun zu müssen. Es ging uns darum, über die Kriegsziele zu schreiben. Viele von uns hatten vorher schon lang und viel über Zivilgesellschaft, Moral usw. geschrieben. Wir wollten auch jetzt in diesen Termini denken und verstehen, was geschehen war und was unsere Antwort in moralischer Hinsicht sein sollte.

Kritiker in Europa meinen, es habe einen unangenehmen Beigeschmack, wenn sich Intellektuelle zusammentun, um öffentlich die Regierung zu unterstützen.

Viele Unterzeichner des Briefs waren in der Vergangenheit starke Kritiker von US-Militäreinsätzen, sei es in Vietnam oder anderswo. Ich auch. Aber es ist schon komisch, dass Intellektuelle in den Augen mancher Leute ihren Status als Intellektuelle verlieren, wenn sie Militäraktionen nicht kritisieren. Das ist eine kindische Reaktion. Intellektuelle müssen sagen, was sie für die Wahrheit halten.

Untypisch war in Ihrem Brief auch die häufige Formulierung: „Wir glauben an …“ Intellektuelle sollen doch analysieren, nicht glauben.

In Frankreich hat man mir auch gesagt, der Brief benutze eine moralistische Sprache; einige sahen darin einen religiösen Unterton …

etwa wegen der Benutzung des Wortpaars „gut und böse“.

Ja. Seit Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation den Begriff der „Achse des Bösen“ benutzt hat, reagieren viele Leute, darunter viele Europäer, alarmiert auf die Benutzung solcher Moralbegriffe wie „gut und böse“, „richtig und falsch“. Wir wollten aber moralisch argumentieren! Viele sagen, wir dürften das nicht tun, wenn es um Krieg geht, insbesondere die so genannte realistische Schule, die moralische Sprache für ein Vertuschen der Machtfrage hält. Wir widersprechen. Wenn man sich selbst verbietet, moralisch zu argumentieren, dann sagt das auch etwas über die Moral aus.

Sie beziehen sich in dem Brief nur auf die Gründe für „diesen Krieg“. Trotzdem kann er als Blankoscheck für alles gelesen werden, was die Regierung derzeit tut.

Nein. Wir geben unser Recht auf Kritik nicht an der Garderobe ab. Ich bin sicher, dass es unter den Unterzeichnern in Fragen wie Irak oder Naher Osten Meinungsverschiedenheiten gibt.

Aber verstehen Sie, dass der Brief so gelesen wurde?

Wir haben Präsident Bush ja auch unterstützt. Aber wir sagen nicht, dass wir alles in der Zukunft unterstützen, was da kommen kann. Aber seit Vietnam gehörte es in den USA zum guten Ton, die Außen- und insbesondere die Militärpolitik der US-Regierung zu kritisieren. Das wollten wir durchbrechen.

Sie sprechen von der Notwendigkeit, „diesen Krieg“ zu gewinnen. Was zu „diesem Krieg“ gehört und was nicht, definiert die Regierung. Gibt es für Sie Grenzen?

Das kann ich nur für mich persönlich beantworten. Wenn Sie sich ansehen, worum es in diesem Krieg tatsächlich geht, dann sind wir eher am Anfang als am Ende. Was jetzt passiert ist, war der einfachste Teil, und es ist lächerlich, zu behaupten, dass wir schon gewonnen hätten.

Während sich in den USA viele Leute Gedanken über Terroristen und Massenvernichtungswaffen machen, scheinen sich im Rest der Welt mehr Leute über die von den USA selbst ausgehende Bedrohung zu sorgen, insbesondere jetzt, da die US-Regierung auch den Einsatz von Atomwaffen gegen Staaten erwägt, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen.

Ich glaube das nicht. Und ich glaube auch nicht, dass die meisten Europäer das glauben. In den USA ist vor kurzem ein „Brief an die Europäer“ veröffentlicht worden. Die Autoren bringen auch dieses Argument. Sie benutzen den Begriff „Terrorismus“ einmal – in Anführungszeichen, als ob es schon problematisch wäre, allein dieses Wort zu benutzen. Dann geht es mit dramatischen Ausdrücken weiter, wie „schreckliche Zerstörung“, „weltweite Opfer“ und so weiter – jeweils um die Wirkung des Pentagons zu beschreiben. Ich weiß nicht, in welcher Welt diese Leute leben, um zu meinen, die USA seien das große Problem der Welt.

Immerhin haben die USA …

Wenn in Ihrer Stadt drei- bis viertausend Leute in die Luft gesprengt würden, würden Sie auch anders denken!

Die US-Regierung verweigert sich zunehmend internationalen Abkommen, ob nun der Biowaffenkonvention, der Kleinwaffenkonvention, dem Kioto-Protokoll oder dem Internationalen Strafgerichtshof. Man kann diese Haltung der USA schon als Bedrohung der Zukunft dieses Planeten ansehen.

Ich stimme zu, dass es in den USA derzeit eine Art Nationalismus gibt, der davon ausgeht, wir brauchten unsere Verbündeten nicht, der den Verbündeten misstraut und ihnen unterstellt, sie würden nur die ganze Zeit Treffen abhalten wollen. Ich verstehe, dass das Besorgnis auslöst. Aber das ist etwas anderes, als die USA und nicht den Terrorismus zur Bedrohung zu erklären.

Howard Zinn, einer der Autoren des „Briefes an die Europäer“, schreibt im Progressive, der Kampf gegen Terror sei zwar eine „gerechte Sache“, es gebe aber keinen „gerechten Krieg“. Akzeptieren Sie diese Unterscheidung?

Nein. Viele Leute bringen dieses Argument, am meisten aber in Deutschland. Vom ersten Tag der Veröffentlichung an bekamen wir von deutschen Intellektuellen heftigste Antworten genau zu diesem Punkt. Es scheint mir, als ob das 20. Jahrhundert und die Erfahrung der beiden Kriege, insbesondere des Zweiten Weltkrieges, innerhalb der deutschen Gesellschaft und ihrer Führung die Haltung fest verankert haben, Krieg sei niemals die Lösung, sondern immer das Problem. Einen Krieg mit moralischen Begriffen rechtfertigen zu wollen gilt als undenkbar. Ich denke dennoch, dass das falsch ist. Man kann ja diesen pazifistischen Grundgedanken haben, dass jeder Einsatz von Gewalt falsch ist. Dann muss man aber auch die Folgen bedenken, nämlich dass noch viele, viele unschuldige Menschen getötet würden. Wenn jemand sagt: Ich will lieber sterben, als mich selbst zu verteidigen, dann kann er das tun. Es ist etwas anderes, wenn ich auch anderen das Recht auf Leben und Selbstverteidigung abspreche. Ich glaube nicht, dass man das darf. Ihre eigene nationale Geschichte sollte nicht der einzige Parameter sein.

Sie gehen in Ihrem Brief von der unveräußerlichen Würde jedes Menschen aus. Wie bringen Sie das mit der Zahl getöteter afghanischer Zivilisten zusammen und mit denen, die in Zukunft noch durch übrig gebliebene Streubomben getötet werden?

Das ist hart. Es erfordert die härteste, genaueste Abwägung, insbesondere für Leute, die den Krieg unterstützen. An diesem Punkt kann ich für alle Unterzeichner sprechen: Wenn herauskäme, dass die USA und ihre Verbündeten einen Krieg führten, der bewusst Zivilisten zum Ziel nähme, würden wir uns sofort gegen den Krieg wenden. Zweitens: Wenn dieser Krieg so geführt würde, dass das Leben von Unbeteiligten, das Leben überhaupt, keine Rolle spielte, dann wären wir sofort gegen diesen Krieg. Aber ich habe dafür keinerlei Indizien.

Die Benutzung von Streubomben, deren Sprengkörper die gleiche Farbe haben wie die abgeworfenen Lebensmittelrationen ist für Sie kein Indiz?

Wenn ich das glauben würde, wäre ich gegen den Krieg.

Sie sagen in Ihrem Brief, es gebe keine Hinweise darauf, dass die Anschläge vom 11. September einen ökonomischen oder materiellen Hintergrund hatten. Sind Sie ganz sicher, dass auch alles, was die US-Regierung derzeit tut, mit ökonomischen Interessen nichts zu tun hat?

Wenn Sie mich fragen, ob ich der Meinung bin, dass es der US-Kriegsmaschinerie lediglich um Profite für die Rüstungsindustrie geht, dann sage ich Ihnen, dass ich das für blöden Primitivmarxismus halte.

 Aber wenn Sie fragen, ob die Welt nur als Konglomerat moralischer Argumente funktioniert, dann sage ich: Nein, natürlich nicht. Auch im Kalten Krieg waren viele ökonomische Interessen involviert. Aber zusätzlich standen sich da zwei unterschiedliche Philosophien gegenüber, und es war auch ein Konflikt unterschiedlicher Weltsichten.

Wie in der Vergangenheit sind die USA mit Staaten und Gruppen verbündet, die mit den Werten, die Sie beschrieben haben, überhaupt nichts zu tun haben. In Lateinamerika haben die USA seinerzeit im Namen des Antikommunismus jede brutale Diktatur unterstützt.

Was die USA, genau wie andere Länder, gemacht haben, war die Bildung von Allianzen mit bösen Leuten.

Sie haben sie geschaffen.

Zum Beispiel Bin Laden im Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan!

Und Augusto Pinochet und all die anderen. Das wird ja rückblickend auch in den USA vorsichtig als Fehler begriffen. Aber begeht man nicht den gleichen Fehler gerade wieder?

Ja und nein. Nein in dem Sinne, dass man sich in jedem Konflikt dieser Größenordnung nicht gänzlich puristisch seine Freunde aussuchen kann. Wir haben uns im Zweiten Weltkrieg mit der Sowjetunion verbündet, um gegen Nazi-Deutschland zu kämpfen – und ich bin froh, dass wir das gemacht haben, obwohl Stalin Millionen von Leuten umgebracht hat. Ja insofern, als die USA zu oft böse Leute unterstützt haben und nicht klar genug für Menschenrechte eintreten.