Pappsoldat Nafa

Große Erwartungen: Mohammed Moulessehoul alias Yasmina Khadra beschreibt einen islamistischen Helden – „Wovon die Wölfe träumen“

Eine geradezu prophetische Qualität wird den Llob-Romanen bescheinigtWas motiviert das Wüten der islamistischen Guerilla?

von KATHARINA GRANZIN

Mohammed Moulessehoul ist derzeit ein recht gefragter Mann. Seit vielen Jahren schon veröffentlicht der ehemalige algerische Offizier Romane unter dem Pseudonym Yasmina Khadra, dem Vornamen seiner Frau. Die ersten seiner Bücher, in denen er sich explizit mit der Allgegenwart von Gewalt, Terror und Korruption in Algerien befasst, waren zugleich die ersten, die ins Deutsche übersetzt wurden. Yasmina Khadras Krimitrilogie um den zynisch-moralischen Kommissar Llob erschien in den Jahren 1999 bis 2001 auf Deutsch und bescherte ihrem Autor bzw. ihrer Autorin, denn erst letztes Jahr lüftete Moulessehoul im französischen Exil das Geheimnis seiner Identität – ein recht wohlwollendes Medienecho.

Seit dem 11. September letzten Jahres aber ist alles anders. Nun gilt Mohammed Moulessehoul nicht mehr lediglich als Gewährsmann für die algerische Misere, sondern gleich als Experte für den islamischen Fundamentalismus schlechthin. Die Medien suchen ihn. Eine geradezu „prophetische“ Qualität bescheinigt gar der britische Guardian Yasmina Khadras Werk und verweist zum Beleg darauf, dass im Kommissar-Llob-Roman „Morituri“ radikale Islamisten einen alten Tempel sprengen, „geschrieben lange bevor die Taliban begannen, Buddhas in die Luft zu jagen“. Na so was. Am Ende hat wohl M. Moulessehoul den Religionskrieg erst erfunden?

Doch auch wenn man dem Soldaten nicht gleich den Bart des Propheten anhängt, hat Moulessehoul als altgedienter Offizier Einblicke in Methoden und Taktik der islamistischen Terroristen, die er wohl mit nur wenigen teilt. Deshalb liegt es nahe, in seinen Büchern nach Antworten zu suchen, die über den algerischen Kontext hinausweisen.

Kürzlich ist Yasmina Khadras Roman „Wovon die Wölfe träumen“ aus dem Jahr 1999 in deutscher Übersetzung erschienen. Er erzählt vom Weg eines jungen Algeriers aus kleinen Verhältnissen in den islamistischen Untergrund. Es mag mit an den hochgesteckten Erwartungen liegen, die man in ein belletristisches Werk mit dieser Thematik projiziert, dass die Lektüre des Romans enttäuscht. Denn die Antworten, die man sucht, finden sich auch hier nicht. Doch liegt das mit Sicherheit auch an der Eigenart des Romans selbst. Denn Khadra ist sehr wohl in der Lage, eine spannende Geschichte zu erzählen und mit unbestechlicher Härte einmal mehr die Brutalität des algerischen Alltags zwischen Gewalt und Gegengewalt zu schildern. Aber eine nachvollziehbare psychologische Figurenführung ist seine Sache nicht.

Der Protagonist Nafa Walid ist ein Junge mit hochfliegenden Plänen. Doch statt als Filmstar zu reüssieren, wird er nur Chauffeur bei den Reichen und muss jeder Laune seiner Sklavenhalter dienstbar sein. Irgendwann verendet im Bett des Millionenerben ein Mädchen an einer Überdosis, und Nafas Welt stürzt ein, als er helfen muss, die Leiche beiseite zu schaffen, und mit ansieht, wie sie zur Unkenntlichkeit verstümmelt wird. Gebrochen zieht Nafa sich in die heimische Kasbah zurück und verzweifelt am Leben.

Doch plötzlich: „Ich vergrub meinen Kopf in den Händen und schluchzte: ‚Mein Gott, so hilf mir doch!‘ Der Ruf des Muezzins hallte wie ein verlängertes Echo meines Stoßgebets wider, und plötzlich kehrte Frieden in meine Seele ein. […] Ich war überzeugt, dass das ein Zeichen des Himmels war.“ So einfach wird der gläubige Muslim in Nafa geboren.

Der Einstieg in den Abstieg ist mit dem zu Brei geschlagenen Mädchengesicht so drastisch motiviert, mit dem rufenden Muezzin so einfältig in Szene gesetzt, dass man spätestens hier aufhört, an Khadras Figuren glauben zu wollen. Nafas neue Frömmigkeit wirkt ebenso erfunden wie seine folgende Entwicklung zum Mörder und Kämpfer der GIA. Er bleibt bis zum Schluss ein Pappsoldat im strategischen Brettspiel seines Autors.

Vielleicht hätte „Wovon die Wölfe träumen“ ein gutes Buch werden können (ein ganz anderes allerdings), wenn Yasmina Khadra sich getraut hätte, die Perspektive von Mohammed Moulessehoul einzunehmen: die des Militärs. Denn insbesondere der Teil, der das Wüten der islamistischen Guerilla auf dem Land und ihre Verfolgung durch die Armee schildert, ist stringent und spannend erzählt und speist sich aus genauer Kenntnis des Sujets. Aber was die innere Motivation der Leute angeht, gegen die Moulessehoul so lange gekämpft hat: Er versteht sie wohl ebenso wenig wie wir alle.

Yasmina Khadra: „Wovon die Wölfe träumen“. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Aufbau-Verlag, Berlin 2002, 412 Seiten, 20 €