Und weil der Weill ein Mensch ist

■ Was Regisseur Sven Düfer zu prosaisch erzählt, rettet Kurt Weill im ihn betreffenden Film durch seine Musik

Nach den ersten paar Minuten des Films muss man das Schlimms-te befürchten. Konventioneller kann man eine Filmbiographie gar nicht konzipieren: Bei der ersten Einstellung wird Kurt Weill geboren, bei der letzten stirbt er. Jeder Fernsehfeature-Macher und jeder Biographien-Schreiber weiß, dass man heute so von einem Leben nicht mehr erzählen sollte.

Aber der Filmemacher Sven Düfer mag wohl den modisch-narrativen Schnickschnack nicht, sein Film heißt ja auch minimalistisch streng „Kurt Weill“ (und nichts anderes davor oder dahinter). Also zuerst die Bilder von Kurt Weill als Baby, dann die alten Filmausschnitte aus dem Berlin der Zwanziger und bald ein erstes Bild von ihm mit dem jungen Brecht (überraschenderweise mit Schlips und Kragen). Und man folgt dem Weill-Experten Jürgen Schebera auf seiner Suche nach Weills Aufenthaltsorten in den Straßen und dem Villenviertel von Berlin. So geht es den Film lang weiter.

Düfer und Scherbara gehen auf Pilgerreise und klappern Weills Lebenstationen ab: Dessau, Berlin, Paris, New York – alles brav abgefilmt. Sie befragen Zeitzeugen, Freunde und Arbeitskollegen. Man kennt das, erfährt dabei auch durchaus Interessantes, etwa über die jüdischen Wurzeln von Weills Musik, doch vom Hocker reißt das niemanden.

Aber dann gibt es ja noch die Musik, und die hat Düfer zum Glück einer wirklich spannenden Riege von Interpreten überlassen. Und wenn die vor seiner Kamera zu singen beginnen, stimmt es plötzlich auch mit den Bildern. Ob sich Milva (die nun wirklich keine Michelle Pfeiffer ist) bei ihrem Weillsong wirklich lasziv auf einem Flügel räkeln sollte, ist noch die Frage. Aber die Grandezza, mit der sie von „Brechte“ und „Weille“ erzählt, ist eine willkommene Unterbrechung nach all den akademischen Ausführumgen von Dr. Jürgen Scherbera.

Spaß zu machen beginnt der Film dann beim „Surabaya Jonny“, den die Schauspielerin Kathrin Angerer mit einer brüchig-rauen Stimme und schöner melancholischer Stimmung interpretiert. Düfer läßt sie dazu elegisch in Schwarzweiß über einen Berliner See paddeln, an dem Weill eine Zeitlang gelebt hat. Das passt alles gut zusammen. Und sie trifft auch den eigentümlichen Ton von Weills berühmtester Interpretin und Lebensgefährtin Lotte Lenya recht genau, den man leider nur einmal im Film hören kann, wenn sie das „Kanonenlied“ in Pabsts Verfilmung der Dreigroschenoper singt. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist der Weill-Song, denn das Willem Breuker Kollektief auf der Wiese vor Weills Haus bei Paris als Jazzballade spielt.

Ein trivialer Tiefpunkt ist dagegen „Mackie Messer“ von Udo Lindenberg so großkotzig dahingeschnoddert wie irgendein Stück seines Panikorhesters. Aber genau diese Peinlichkeit illustriert treffend, wie sehr Weills berühmteste Komposition inzwischen auf den Hund gekommen ist. Als strahlender Gegenpol dazu entpuppt sich die Version des „Bilbao-Songs“, die Blixa Bargeld zur Musik einer kratzenden Schelllackplatte aus den 20ern singt. Dabei gelingt es ihm irgendwie, den heutigen Kult um die Musik von Kurt Weill gleichzeitig zu feiern, zu dekonstruieren und zu ironisieren. In seinem Gesang bringt er vieles poetisch genau auf den Punkt, wovon uns Düfer vorher meist allzu prosaisch erzählt hat. Zumindest daran hätte Kurt Weill bestimmt seine Freude gehabt. Und so rettet so schließlich seine Musik den Film. Wilfried Hippen

„Kurt Weill“ läuft im Kino 46 von heute bis Sa. um 20.30 Uhr und von So. bis Di. um 18.30 Uhr