Frauen verdienen mehr

Sie sind Männern gegenüber in Deutschland weiterhin beruflich benachteiligt. Ihr Einkommen fällt immer noch deutlich geringer aus. Deutschland ist damit Schlusslicht im europäischen Vergleich

BERLIN taz ■ Sieht doch ganz gut aus für die Frauen in Deutschland. Das war die Botschaft, die Frauenministerin Christine Bergmann (SPD) gestern verbreitete, als sie den ersten „Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern“ vorstellte. Junge Frauen zum Beispiel verdienen mittlerweile beim Berufseinstieg fast genauso viel wie Männer. Doch bei genauerem Hinsehen enthüllt der Bericht alte, hässliche Zahlen: Weniger als die Hälfte aller Frauen arbeitet überhaupt Vollzeit. Und diese Frauen verdienen im Schnitt 15 Prozent weniger als Männer. Damit ist Deutschland laut EU-Kommission Schlusslicht in Europa.

Zudem sind nicht nur mangelnde Kinderbetreuung, die ungeschickte Berufswahl junger Damen und das ungünstige Steuerrecht schuld an der Lohndifferenz. Im Bericht, der unter wissenschaftlicher Leitung der Hans-Böckler-Stiftung erarbeitet wurde, heißt es auch, dass die deutschen Tarifverträge Frauen indirekt diskriminieren. Damit seien die Verträge „nicht rechtskonform“ mit der EU-Richtlinie zur Lohngleichheit. Die schreibt vor, dass auch für „gleichwertige“ Arbeit gleicher Lohn bezahlt werden muss. Um eine Gleichwertigkeit festzustellen, müssen die Bewertungskriterien einheitlich und transparent sein. Das sind sie in deutschen Tarifverträgen aber keineswegs, erklärt der Bericht. Berufe, in denen überwiegend Frauen arbeiten, würden in Tarifverträgen oft nicht umfassend beschrieben.

Bergmann nannte das Beispiel einer Altenpflegerin, deren körperliche Anstrengungen in der Arbeitsbeschreibung einfach nicht erwähnt würden. Der Bericht erwähnt die Tarifverträge der Druckindustrie: Die Arbeit einer ausgebildeten Sekretärin wird dort überhaupt nicht beschrieben, während die Anforderungen an „Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit“ eines ungelernten Lagerarbeiters detailliert ausgeführt werden. Die Sekretärin bekommt 153 Euro weniger Lohn als der ungelernte Arbeiter. Auch im Bundesangestelltentarif (BAT) des öffentlichen Dienstes finden sich solche unklaren Bewertungskriterien zuhauf, stellte schon 1997 ein Rechtsgutachten fest, das die ÖTV in Auftrag gegeben hatte.

Die Bundesregierung distanzierte sich von diesem Kapitel des Berichts. Gleichwohl haben die öffentlichen Arbeitgeber einen Diskussionsprozess um die Arbeitsbewertung im BAT begonnen. Während die Gewerkschaften den Bericht im Ganzen begrüßten, nannten die Arbeitgeberverbände ihn „in weiten Teilen einseitig“ und im „wissenschaftlichen Wert zweifelhaft“.

HEIDE OESTREICH

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