Die Thesenträgerin aus Hamburg-Altona

Buket Alakus’ Spielfilm „Anam“ erzählt vom harten Alltag einer deutsch-türkischen Putzfrau. Das hat Tempo und ist stimmig in den Details, aber grobschlächtig im Ganzen. Zu viele Figuren scheinen aus TV-Serien wie „Großstadtrevier“ zu kommen. Trotzdem schafft es die Politik, den Film zu kapern

von PHILIPP BÜHLER

Wenn nur dieses Kopftuch nicht wäre. Dieses unvermeidliche Symbol muslimischer Sittsamkeit, das man offenbar braucht, um über den Dauerbrenner Ausländer und Integration zu sprechen. Das damit ja auch ein Symbol deutscher Debattenkultur ist, oder vielmehr ihrer unsäglichen Symbolhaftigkeit. Wie das Kruzifix. Wie Schröders Haare. Wie 18 Prozent.

Im Verlauf von „Anam“ nimmt die gleichnamige Protagonistin das Kopftuch ab, selbstbewusst. Dann setzt sie es wieder auf, stolz und störrisch wie eh und je. Ihre deutsche Kollegin Rita sagt: „Aus dir soll mal einer schlau werden!“ Am Ende wird es vom Wind fortgetragen, und man darf rätseln, was das nun wieder bedeuten soll. Dabei sollte es in diesem eigentlich charmanten und engagierten Film doch darum gehen, wer unter dem Kopftuch steckt.

Anam (Nursel Köse) ist Mutter, ausgesprochen schön und Putzfrau in einem Hamburg-Altona, das man so schmutzig nur in der Wirklichkeit gesehen hat. Ihr Mann geht fremd, die Tochter schwänzt die Schule, der Sohn nimmt Drogen. Das weiß die feine Anam noch nicht. Es wird ihr mütterliches Selbstbild ziemlich erschüttern. In der Putzkolonne geht sie mit ihrer Gewissenhaftigkeit allen ein bisschen auf die Nerven. Aber mit der leicht prolligen Rita (Saskia Vester) und der afrikanischen Wuchtbrumme Didi (Audrey Motaung) versteht sie sich prima. Die sehnen sich nach starken Männern und schönen Kleidern, sie eben nach „Zufriedenheit und Gesundheit“. Gemeinsam ist diesen Träumen, dass sie in weiter Ferne liegen.

Die in Istanbul geborene Regisseurin Buket Alakus erzählt ihre Geschichte mit hohem Tempo, viel Gefühl, stimmig in den Details, grobschlächtig im Ganzen. Die rasanten Ausflüge in Ritas Fiat „Panda“ möchte man nicht missen. Das musikalische Leitmotiv Flamenco liegt schön neben der Spur. Vor allem in Anams Wohnküche verbrächte man gerne mehr Zeit. Denn im familiären Zwist mit dem schwachen Ehemann und der traditionalistischen Schwägerin werden Konflikte deutlich, wird die schwierige Suche nach einer weiblichen deutsch-türkischen Identität für ein paar Momente fassbar. Das ist auch witzig, zum Beispiel wenn die aufmüpfige Tochter der Tante viele Kinder verspricht – von vier verschiedenen Männern.

Doch die junge Regisseurin scheint ihren Figuren nicht wirklich zu trauen. Der melodramatische Kampf um den Sohn führt zu einer jener Junkie-Geschichten, wie sie Alakus offenbar nur aus dem Fernsehen kennt. Der böse Dealer und das drogenabhängige Mädchen, das Anam um ihres Sohnes willen auf den Entzug vorbereitet, sind nun einmal bekannte Figuren aus dem „Großstadtrevier“. Wie zur Bestätigung wackelt ein freundlicher Polizist (Leonard Lansink) von der Davidswache immer dann durchs Bild, wenn Anam ihn gerade ganz dringend braucht. Spätere Liebe nicht ausgeschlossen, Integration geglückt.

Dass die plakative Symbolik Kopftuch, Drogenkriminalität, Rechtsstaat die Inhalte irgendwann einfach an die Wand drückt, ist schade. Denn dieser Frauenfilm von unten deutet auch an, dass es vom gut gemeinten Problemfilm zum richtigen Kino nur ein kleiner Schritt ist.

Und was lernen wir daraus? „Anam“ kommt an und hat Publikumspreise gewonnen auf den Festivals in Oldenburg und Braunschweig, außerdem den Geneva Europe Grand Prize für das beste Drehbuch. Die politische Frage der korrekten Repräsentation durch Kunst scheint kaum zu interessieren. „Anam“, dessen Figuren als Thesenträger fungieren, stellt sie nicht einmal. Demnach ist aber auch die korrekte Präsentation politischer Aussagen auf dem Felde der Kunst nicht so altmodisch, wie man dachte. Anders ausgedrückt: die Politik ist in der Lage, den Film zu kapern. Das Kino wird debattenfähig. Man hört jetzt auch sehr genau hin, wann in „Anam“ Deutsch und wann Türkisch gesprochen wird.

„Anam“, Regie: Buket Alakus. Mit Nursel Köse, Saskia Vester, Audrey Motaung u. a., Deutschland 2001,86 Min.