Zeitgeistzug, leicht verspätet

Schriften zu Zeitschriften: Das neue „Kursbuch“ befasst sich mit Gewalt. Konzipiert wurde es vor dem 11. September, es geht um den Steine werfenden Joschka Fischer und um Frauen in der Armee – nicht immer mit zeitgemäßen Thesen

Das Kursbuch hat eine neue Mitherausgeberin. Eineinhalb Jahre nach dem Tod von Karl Markus Michel fanden Ingrid Karsunke und Tilman Spengler in der Literaturchefin der Frankfurter Rundschau, Ina Hartwig, nicht nur eine neue Mitstreiterin, sie identifizierten in ihr zugleich die Vertreterin einer neuen, jungen Generation. Vor allem darüber freuten sich bei einem kleinen Empfang des Rowohlt Verlags in Berlin die beiden altgedienten Logistiker des Fahrplans für den Zeitgeistzug, weil er ja das Streckennetz der Gegenwart pünktlich befahren soll.

Und tatsächlich, mit dem zu dritt konzipierten Heft Nummer 147 glaubt man den Zug auf die Sekunde genau einrollen zu sehen, ist doch „Gewalt“ das Thema. Allerdings war das Heft vor dem 11. September entwickelt worden und sein Gegenstand just dem Generationenwechsel geschuldet. Nicht das WTC, Afghanistan oder der Konflikt im Nahen Osten konnten Ina Hartwig das Thema liefern; es fand sich vielmehr in der Debatte um die Bilder des Steine werfenden Joschka Fischer, wie Hartwig im offiziösen Teil des Empfangs bekannte. Gerade weil sie sich nicht als Repräsentantin einer Generation sehe, der die 68er (und deren Kursbuch für die Fahrt ins Freie) das Leben verdorben haben, wie es heute viele thirty somethings so gerne behaupten, gab der Sponti den Anstoß. Für Rainer Keller allerdings, der seinen Beitrag mit „Fischer wirft einen Stein“ überschreibt, ist dieser Vorfall nur Anstoß für eine strafrechtliche Erörterung über die Verjährbarkeit beziehungsweise Unverjährbarkeit von Straftaten und die Problematik eines Internationalen Strafgerichtshofes: nicht gerade das, was einen in Verbindung mit Joschkas jugendlichem Straßenkämpfertum besonders brennend interessiert. Dazu dokumentieren Kellers Bedenken gegen die Unverjährbarkeit der Tötungsdelikte, die an der DDR-Grenze geschahen, eine ultrakonservative Haltung, wenn er in ihr „eine Abwertung von Individuen“ sieht, „die auf das gegebene Recht vertraut hatten.“ Ist hier nicht gleich der Marinerichter Filbinger mit seinem Argument zur Stelle, was einmal Recht war, könne später nicht Unrecht sein? Dem Bundesaußenminister als gewesenem Berufsrevolutionär spürt Wolfgang Kraushaar nach. Gewohnt solide, knapp, aber plausibel mit der nötigen Reichweite auf die relevanten Quellen, stellt Kraushaar unserem heutigen Verdruss an der Gewalt eine andere, ja, Traditionslinie gegenüber, die den Spaß an der clownesken Gewalt kennt – besser wohl kannte.

Trotz all der Kriege oder, aus Sicht des Ministers, militärischen Interventionen, in die er in seiner Funktion involviert ist: Die Bedeutung des Militärs ist im Niedergang begriffen. Armeen werden verkleinert, Rüstungsbudgets gekürzt, und Frauen in alle Waffengattungen aufgenommen. Martin van Creveld, israelischer Militärhistoriker, sieht nun in den „Frauen beim Militär“ das Symptom, gar die Ursache des Niedergangs. Nun ist es sicher richtig, dass mit dem Eindringen der Frauen das Image der Armeen Schaden litt – nur, wo gilt das nicht? Selbst die Literaturkritik erschaudert inzwischen vor ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit, seitdem Marktforschungsinstrumente belegen, dass es nur noch Leserinnen, aber keine Leser mehr gibt. Wie sollte es ausgerechnet beim Militär anders sein, „einer Illusionsmaschine spezifischer Art, die im Wesentlichen das Konstrukt der Männlichkeit produziert“, wie noch im Kursbuch 67/1982 bei Mario Erdheim zu lesen war?

Auch wenn sich Crevelds Darstellung weitgehend im historisch-soziologischen Rahmen bewegt – aufhalten will er sich damit nicht. Denn Creveld ist weder an den Frauen noch am Militär interessiert. Ihm geht es darum, die Mannhaftigkeit des Krieges zu bewahren. Er weiß, es sind konstitutionelle, anthropologische, also ewige Gründe, warum die Frauen nicht für den Krieg taugen, weshalb sie auch immer die Flüchtlinge sind. Merkwürdig ist nur, dass man auch jede Menge Männer, durchaus in ihren kampfestüchtigsten Jahren, stets dann als Flüchtlinge sieht, wenn sie keine Waffen (und keinen Kampfverbund) haben. Dass aber Waffen auch in Zeiten der ubiquitären Kalaschnikow ein knappes, kostbares Gut sind, das minderwertigen Personen wie Frauen nicht ausgehändigt wird, muss eigentlich nicht gesagt werden. Eher, dass das Kursbuch mit Crevelds Parteinahme für das männliche Monopol auf kriegerische Gewalt das annoncierte Thema verschenkt.

Es sind also nicht die vom Kursbuch aufgelisteten Verbindungen, die Beiträge zum „Schläfer“, zur „Todesstrafe live“ oder zur „Zukunft der Gewalt“, die die Wartenden in den Anschlussbahnhöfen mit Ungeduld in seinen Seiten blättern lässt. Es ist eher die Frage nach anderen Loks. Es muss ja nicht sofort der gleiche Imageschaden wie beim Militär entstehen, wenn sich das Kursbuch ein paar Autorinnen mehr zulegt. Immerhin sind es die Texte der drei Frauen unter zwölf Männern und tatsächlich der Beitrag über eine Generationenerfahrung, nämlich Stefan Schurrs Bericht über die Sozialisation mit Ede Zimmermanns „XY ungelöst“, die zu den interessantesten des Hefts zählen.

BRIGITTE WERNEBURG

Kursbuch 147, März 2002, 9 Euro