Sexualität und Denunziation

Insa Meinens Studie zu Wehrmacht und Prostitution im besetzten Frankreich ist wichtig für die Geschlechterforschung

Frauenverachtung und antifranzösisches Ressentiment prägten die Wehrmacht

Im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs fühlten sich die deutschen Soldaten fast wie im Urlaub. Das lässt sich zumindest aus ihren späteren Erzählungen schließen: Es gab genug zu essen, reichlich Zigaretten und Alkohol, kaum Kampfeinsätze – und nicht zuletzt auch noch die Möglichkeit zu „amourösen Abenteuern“. Frankreich fungierte in der Tat als eine Art „rest and recreation“-Basis für die deutschen Soldaten, die aus allen Teilen Europas und insbesondere von der Ostfront hierher zur „Erholung“ geschickt wurden. Doch die Kontakte zwischen deutschen Soldaten und Französinnen waren während des Zweiten Weltkriegs streng reglementiert, wie Insa Meinen in ihrer soeben erschienen Studie über Wehrmacht und Prostitution im besetzten Frankreich zeigt. Zu Recht verweist die Autorin in der Einleitung darauf, dass die Situation der Frauen in den von der Wehrmacht besetzten Ländern bislang auch von der Frauen- und Geschlechterforschung kaum in den Blick genommen wurde und dass die Geschichtsschreibung über den Nationalsozialismus die Geschlechterverhältnisse unter deutscher Besatzungsherrschaft in der Regel ausklammert.

Die Wehrmacht hatte gleich nach der Besetzung des Landes ein Netz von Bordellen für deutsche Soldaten und Offiziere errichtet, das unter Kontrolle der Wehrmachtssanitätsinspektion stand. Auf diese Weise wurde den deutschen Wehrmachtsangehörigen als sexuelle Kompensation für die Entbehrungen des militärischen Alltags ein organisierter Zugang zu Frauen geboten. Sexuelle Kontakte zu Französinnen außerhalb der kontrollierten Bordelle sollten dagegen unterbunden werden. Vordergründig ging es der Besatzungsmacht darum, eine Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten zu verhindern. Darüber hinaus aber spielten auch rassistische und sicherheitspolizeiliche Motive eine Rolle. So befürchtete die Besatzungsverwaltung, dass französische Widerstandsgruppen ihre Agentinnen auf deutsche Wehrmachtsangehörige ansetzen könnten. Und schließlich waren private Beziehungen zwischen Soldaten und weiblicher Zivilbevölkerung generell dazu geeignet, die Disziplin der Truppe und deren Autorität gegenüber der französischen Gesellschaft zu untergraben.

Die engmaschige seuchenpolizeiliche Kontrolle, mittels derer die Wehrmacht derartige Gefahren abzuwenden suchte, bekamen vor allem die Französinnen zu spüren. Dabei mischten sich Frauenverachtung und antifranzösisches Ressentiment. Französinnen, die in den Wehrmachtsbordellen arbeiteten, wurden – auch gegen ihren Willen – regelmäßig im Beisein deutscher Sanitätsoffiziere ärztlich untersucht und im Falle einer Infektion zwangshospitalisiert. Prostituierte, die außerhalb der Bordelle ihrem Beruf nachgingen, mussten Polizeirazzien ebenso fürchten wie die Denunziation durch geschlechtskranke deutsche Soldaten (die dazu aufgefordert wurden, die Frauen zu melden, bei denen sie sich vermeintlich oder tatsächlich angesteckt hatten). Ihnen drohten der Eintrag in eine so genannte Dirnenkartei, Zwangsuntersuchung, Verhaftung und unter Umständen auch die Einweisung in ein Krankenhaus, in dem sie zur Beobachtung festgehalten wurden.

Viele Französinnen wurden zudem der Prostitution verdächtigt, wenn sie in Bars oder an anderen Orten angetroffen wurden, an denen deutsche Soldaten in ihrer Freizeit verkehrten. Besonderes Misstrauen galt dabei den weiblichen Angestellten in Hotels und Gaststätten. Die französische Polizei arbeitete mit den Besatzungsbehörden Hand in Hand. Für sie ging es vor allem um die Aufrechterhaltung der Moral und der Geschlechterordnung in der französischen Gesellschaft. Ehefrauen französischer Kriegsgefangener, die beruflich oder privat mit deutschen Wehrmachtsangehörigen Kontakt hatten, wurden von den französischen Behörden besonders schikaniert, nicht selten aufgrund von Denunziationen durch Landsleute. Die Überwachung der Prostitution diente somit auch dazu, Frauen zu disziplinieren, die gegen den ehelichen Moralkodex verstießen oder solcher Verstöße verdächtigt wurden.

Insgesamt zeigt Insa Meinen, dass die Reglementierung der Prostitution weit mehr war als eine seuchenhygienische Maßnahme und dass sich die Kontrolle, die vermeintlich „nur“ den Prostituierten galt, auf immer weitere Kreise der weiblichen Zivilbevölkerung erstreckte. Das Instrumentarium reichte von der unter deutscher Besatzung eingeführten (und bis heute aufrechterhaltenen) Registrierung aller Hotelbesucher über die medizinische Zwangsuntersuchung von prostitutionsverdächtigten Frauen bis hin zu ihrer Internierung. Unzählige Frauen wurden im Zuge der Prostitutionskontrolle in Hospitälern, Gefängnissen, Arbeitshäusern und Bordellen eingesperrt – oder auch in Internierungslagern. Die Haftdauer reichte von einigen Tagen bis hin zu mehreren Jahren. Mitunter konnten die Verdächtigen nur dann ihre Freilassung erreichen, wenn sie sich bereit erklärten, in einem Wehrmachtsbordell zu arbeiten, wenn sie heirateten oder eine Arbeit nachweisen konnten, sei es in Frankreich oder im Deutschen Reich.

Das in Frankreich etablierte Bordellsystem wurde zwar in seinen Grundzügen auch in anderen Ländern eingeführt, die während des Zweiten Weltkriegs von der deutschen Wehrmacht besetzt worden waren, doch nirgends sonst war die Reglementierung der Prostitution so straff organisiert wie im Nachbarland westlich des Rheins.

Meinens Untersuchung basiert fast ausschließlich auf Dokumenten deutscher und französischer Behörden. Berichte und persönliche Dokumente von Frauen, die als Prostituierte verfolgt wurden, sind kaum überliefert. Doch ist es der Autorin gelungen, in ihrer Analyse sowohl die polizeiliche Optik zu meiden, die aus den Dokumenten spricht, als auch die voyeuristisch-moralisierende Sicht, aus der so häufig über Prostitution geschrieben wird. Sie wahrt so die Würde der betroffenen Frauen, ohne sich als deren Sprecherin zu gerieren. Eine weitere Stärke des Buches liegt in der Synthese der verschiedenen Perspektiven der Geschichtsschreibung, auch wenn leider ein resümierendes Schlusskapitel fehlt. Doch insgesamt ist die Studie nicht nur gut lesbar geschrieben, sondern enthält eine Fülle von Anregungen für die Geschlechter- ebenso wie für die Sozialgeschichtsschreibung und die Okkupationsforschung. SUSANNE HEIM

Insa Meinen: „Wehrmacht und Prostitution im besetzten Frankreich“. 264 Seiten, Edition Temmen, Bremen 2002, 22,50 €