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: Das Glücksgefühl der Selbstermächtigung

Der Attentäter war kein Opfer

Das Computerspiel ist eine der letzten Jugendkulturen, die noch weitgehend unter Ausschluss der Erwachsenenöffentlichkeit stattfindet. Die Missachtung des Konsens ist daher eine probate Marketingregel der Hersteller, leicht herstellbar über die Darstellung von Gewalt. Doch das Unbehagen hat tiefere Gründe. Die Jugendlichen hantieren hier sorglos mit Symbolen einer Ordnung, die im Reden der Erwachsenen verpönt, gleichwohl in jedem ihrer Alltage gelebt wird: die Ideologie der Selbstermächtigung. Spiele sind darin beunruhigender als Filme, denn sie organisieren aktive Partizipation an Gewalt und setzen sich so dem Verdacht aus, Aggression aus dem fiktiven ins wahre Leben herüberkippen zu lassen.

Die Produzenten arbeiten gerne an dieser Grenze von Realität und Fiktion. Die Riots während der Weltwirtschaftstreffen beispielsweise wurden zum Vorbild für „State of Emergency“. Mit Tränengas, Feuerwerfer und abgetrennten Gliedmaßen darf eine Revolte angezettelt werden gegen eine übermächtige Handelsorganisation – und zwar wahlweise im Chaos- oder Revolutionsmodus. Das dunkle Pendant dazu ist „Hooligans – Storm over Europe“. Hier können Ausschreitungen während der europäischen Fußballsaison organisiert werden. Ähnlich funktionieren die vielen Militärsimulationen, in denen der Sturm auf Kosovo unter eigener Befehlsgewalt nachvollzogen werden kann. Diese Strategiespiele ähneln jenen Versuchsanordnungen, mit denen Wissenschaftler Klimaszenarien oder „Artificial Societies“ simulieren. Sie verschaffen dem Spieler das sonst unerreichbare Glücksgefühl, komplexe Vorgänge beeinflussen zu können. Die Folgen jeder Entscheidung berechnet der Personal Computer stets neu.

Doch es ist der umgekehrte Weg – die Rückkopplung der Gewaltfiktion an die Realwelt – die ein ganz spezielles Spielgenre in den Blickpunkt geraten lässt. Der so genannte Ego-Shooter, das Trompe-l'oeil der Computerspiele, inszeniert das Laufen und Schießen mit subjektiver Kamera auf einer tiefenperspektivisch ausgeleuchteten Bühne. Auch hier geht es zunächst eher um Machterfahrung denn um offene Gewalt. Das Rauschhafte an „Doom“ oder „Quake“ liegt nicht einfach nur im Töten, sondern in der Eroberung des Raumes. Die Vernichtung organischer Widerstände fördert Gefühle der Omnipotenz und der Omnipräsenz sehr viel mehr als das bloße Überholen in der Rennspur, wenngleich auch dort Geschwindigkeit immer auch eine Metapher ist für Raumbeherrschung.

Die meisten Ego-Shooter bieten daher auch einen „god mode“, der den Spieler unzerstörbar macht und durch Wände gehen lässt. Seit man 1992 als V. J. Blazkowicz möglichst viele Nazis bei der Flucht aus Burg Wolfenstein eliminieren musste, hat es eine ungeheure Flut dieser Tötungssimulationen gegeben, „Doom“ und „Quake“ sind die Klassiker, vor zwei Jahren schließlich ließ das überharte „Soldier of Fortune“ hinsichtlich des Realismus kaum noch zu wünschen übrig. Von hier aus ist es nicht weit zum besonders brutalen Subgenre mit dem sprechenden Namen „Hack and Slay“. Der Realismus der Raumbewegung zog den Realismus der Gewalt nach sich.

Heute ist „Counter-Strike“ das Spiel der Stunde. Der Multiplayer-Modus des ebenfalls beliebten Shooters „Half-Life“ wurde hier so modifiziert, dass zwei Mannschaften als Terroristen und Gegenterroristen in Netzwerken gegeneinander antreten. Betrieben wird das Spiel als so genannter Sport in Gruppen und internationalen Turnieren. Die Polizei fand das Actionspiel im Zimmer des Attentäters von Erfurt, nun wehrt sich die Community gegen alle Vorwürfe (www.gamergegenterror.tk). Darin unterscheiden sich die Onlinegamer in keiner Weise von den Schützenvereinen der Realwelt. Keiner will es gewesen sein, Katalysator der Gewalt waren beide. Ein offener Brief von „raal“, dem Kapitän der deutschen Counter-Strike-Nationalmannschaft, zeigt wenig Nachdenklichkeit. Den Gamern schwant: Es steht viel auf dem Spiel, denn es ist Wahljahr. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung jedenfalls adelte Counter-Strike, das zu den anspruchsvolleren Exemplaren der Gattung gehört, zur „Software fürs Massaker“.

Aber wie soll das gehen? Die so genannte Simulationstheorie, die von einer Förderung der Aggressionsbereitschaft ausgeht, erhält immer häufiger Zuspruch durch empirische Studien. Aber kann jene „Rahmungskompetenz“ (Jürgen Fritz), die Realität von Fiktion unterscheiden hilft, komplett verloren gehen? Der Attentäter von Erfurt war kein Opfer. Er hat die Vorgaben der Rahmung vorsätzlich verschoben, die Ninja-Maske war dabei nur eines seiner Hilfsmittel. Wenn es nicht gelingt, zwischen vermeintlicher Selbstermächtigung und den täglichen Erfahrungen der Ohnmacht zu vermitteln, mag es für einen „sozial Desorientierten“ zu solch einer Situation kommen. Die erfolgreich geprobte Allmacht von Effektivität und Gewalt lässt er dann ins Reale übergreifen – und sei es, um wenigstens für das große Finale vom Opfer zum Täter zu werden. Wenn sich dieser Verdacht auch nur für einen dieser Fälle erhärten ließe, hätten alle bayerischen Ministerpräsidenten gute Grunde dafür, eine gesetzliche Behinderung von Computerspielen zu fordern, die das Töten von Menschen belohnen. SEBASTIAN HANDKE