zum amoklauf von erfurt
: Ein Einwurf aus aktuellem Anlass

Gott sei Dank war es ein Deutscher

„Gott sei Dank“, dachte ich, als ich den Namen des Amokläufers von Erfurt hörte. „Gott sei Dank, er war Deutscher.“ Keine Frage, über die Tat war ich entsetzt. Wie alle anderen Menschen hierzulande frage auch ich mich, wie es so weit kommen konnte.

  Politiker, Mitschüler, Lehrer, Nachbarn, alle suchen verzweifelt nach den Ursachen für diese schreckliche Tat. Hat die Schule versagt? Hat unsere Gesellschaft die falschen Erziehungsideale? Gehen wir zu locker mit Waffen um? Haben wir auch schon Verhältnisse wie in Amerika oder Italien? Sind die Computerspiele schuld? Oder war der Täter ein armer Irrer, der Hilfe gebraucht hätte?

Aus allen möglichen Perspektiven versucht Deutschland nun das Phänomen der blinden Gewalt zu verstehen. Wäre der Amokläufer von Erfurt aber Sohn türkischer Eltern gewesen, würde niemand danach fragen, ob Videospiele schlecht sind. Wenn Ausländer gewalttätig werden, dann eben weil sie Ausländer sind. Deshalb hat Deutschland nichts mit ihnen zu tun, und deshalb gibt es nichts zu erörtern. Beispiele aus der Vergangenheit haben es immer wieder gezeigt: ob es um den kleinkriminellen Mehmet aus Bayern ging oder halbstarke Jugendbanden aus Berlin-Kreuzberg.

Gewalttätigkeit ist immer im Kontext zu sehen, und dieser Kontext ist, da wir in Deutschland leben, ein deutscher Kontext – egal woher der Mensch ursprünglich kommt. Unsere Institutionen, unser Personal, unsere Interaktion als Gemeinschaft sind Teil des Kontextes, und wenn wir nach den Ursachen suchen, dann setzen wir auch hier an.

Ist der Täter aber ein Immigrant, gelten andere Regeln. Gott sei Dank war der Amokläufer von Erfurt ein Deutscher. Sonst würden jetzt nicht Trauer und Ratlosigkeit die Stimmung im Land beherrschen. Gott sei Dank war er ein Deutscher, sonst würde immer noch nicht über Gewalt verherrlichende Spiele und Erziehungsziele diskutiert werden.

Gott sei Dank war er ein Deutscher, sonst würde Deutschland nie kapieren, dass Deutsche nicht bessere Menschen sind als Amerikaner, Italiener oder Türken.

AYSEGÜL ACEVIT