Japaner ist man von Geburt

Unbeholfen, seltsame Gerüche ausdünstend und exotisch wie ein Tier im Zoo: Nichtjapaner, egal ob Europäer oder Asiaten, finden sich immer wieder auf die Rolle der Menschen von draußen reduziert, durchaus willkommen, aber doch außen vor

Nichtjapanern haftet etwas Unzivilisiertes, Wildes an, sie sind eine andere Spezies

von FRAUKE KEMPKA

Yoshie Kagawa liebt Shopping und die Popsängerin Namie Amuro. Sie kichert alle Augenblicke und stellt beim Gehen die Füße nach innen, wie so viele Japanerinnen zwischen 16 und 25, die besonders niedlich erscheinen wollen. Irgendwann in einem Gespräch über Mode, Kinofilme und den Sexappeal von Ewan McGregor beugt sie sich vor, senkt die Stimme und fragt: „Findest du eigentlich, dass ich japanisch aussehe?“

Yoshie gehört zur dritten Generation jener koreanischen Einwanderer, die während der japanischen Kolonisation Koreas von 1910 bis 1945 ins Land kamen, viele von ihnen als Zwangsarbeiter. Heute sind ihre Kinder und Enkel in Japan geboren und aufgewachsen. Für viele stellt dieses Erbe nicht mehr als ein lästiges Attribut dar, das sie nach Möglichkeit zu verbergen suchen. So wie Yoshie, deren Vater den Familiennamen ins Japanische übersetzen und sich naturalisieren ließ. Sie selbst fühlt sich als Japanerin, einen besonderen Bezug zu Korea spürt sie kaum. „Meine Freunde wissen nichts davon, sie würden mich als Gaijin ansehen.“ Gaijin setzt sich aus den japanischen Zeichen „draußen“ und „Mensch“ zusammen. Es ist die zwar nicht politisch korrekte, aber doch weithin gebräuchliche Bezeichnung für Nichtjapaner in Japan, eine Bezeichnung, die sowohl ein Stigma als auch eine Rolle definiert. Denn Japan stellt in weiten Teilen eine ethnische Monokultur dar. Daran hat sich auch im Zeitalter der globalen Dörflichkeit nicht viel geändert. Im Jahre 2000 ließen sich 1.686.444 Angehörige anderer Nationalitäten bei der Einwanderungsbehörde registrieren, was bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 127 Millionen gerade einmal einen Anteil von 1,3 Prozent ausmacht. Mehr als die Hälfte der in Japan lebenden Ausländer stammt aus den Nachbarländern China und Korea, insgesamt 74 Prozent aller Einwanderer sind Asiaten. Verschwindend gering hingegen ist der Anteil von Europäern, Afrikanern oder Nordamerikanern, deren Heimatländer von dem ostasiatischen Inselland sowohl geografisch als auch kulturell weit entfernt sind.

Dabei sind gerade diejenigen, welche dem Phänotypus „groß, weiß und hellhaarig“ entsprechen, besonders gern gesehene Gäste. Immer noch repräsentieren sie ein Schönheitsideal, da die Werbebranche sehr oft mit westlichen Models arbeitet; außerdem rufen ihre Heimatländer Erinnerungen an schöne Reisen wach. Aber auch sonst gilt internationaler Austausch als cool, und viele Japaner sehen es als ihre Pflicht an, ihr Land möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Dadurch kommt man immer wieder in den Genuss einer Gastfreundschaft, die nicht so recht in das Bild des stets höflichen, aber distanzierten Japaners passen will.

Chris kann ein Lied davon singen. Der langhaarige Germanistikstudent strandete auf Reisen eines Nachts im ländlichen Nirgendwo auf der Insel Kyushu, wo ihn ein Postbeamter in mittleren Jahren ansprach und zu sich nach Hause einlud. Seine Frau zauberte aus dem Nichts ein fulminantes Abendessen auf den Tisch, und man unterhielt sich bis spät in die Nacht in einem immer wirrer werdenden Kauderwelsch. Am nächsten Tag opferten die beiden einen Tag ihres kurzen Jahresurlaubs, um Chris auch noch die Sehenswürdigkeiten der Region zu zeigen.

Was klingt wie das Märchen eines Rucksacktouristen, ist zwar nicht alltäglich, aber auch keine mythenumwobene Ausnahmeerfahrung. Wie immer und überall ist das nur die eine Seite. Während im Unterschied zu Deutschland fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten in Japan nahezu unbekannt sind, kommt auch das Inselland nicht ohne Vorurteile und Vorbehalte aus. Die Überzeugung, in einem absolut einzigartigen Land zu leben, ist weit verbreitet. Man sieht zwar die Schwachstellen im eigenen Land, wie mangelnde persönliche Freiheiten und zu lange Arbeitszeiten, durchaus kritisch, ist jedoch auf der anderen Seite überzeugt, dass in keinem Land die wechselnden Jahreszeiten schöner, nirgendwo das soziale Zusammenleben harmonischer und kein Ort auf der Erde so zivilisiert sein kann wie Japan. Diese Anschauung bringt es mit sich, dass Nichtjapanern automatisch irgendwo etwas Wildes, Unzivilisiertes anhaftet und sie in den Augen vieler so etwas wie eine andere Spezies darstellen, von der man gar nicht erst erwartet, dass sie die Landessprache jemals erlernen könnte, die seltsame Gerüche ausdünstend unbeholfen durch die Gegend stolpert und so exotisch ist wie ein Tier im Zoo.

Antônio hat schlechte Erfahrungen in Japan gemacht. Der 31-jährige Brasilianer ist erst vor kurzer Zeit in die Wiege der Nintendospiele gekommen. Sein japanischer Vater war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südamerika ausgewandert und brachte dem Sohn auch die eigene Muttersprache bei. Nachdem er in seiner Heimat keine wirkliche Perspektive gesehen hatte, ist Antônio nun in Japan auf der Suche nach Arbeit. Die ersten Wochen im Herkunftsland seines Vaters haben ihn jedoch bitter enttäuscht. Die Leute seien unfreundlich, arrogant und voller rassistischer Vorurteile, gerade gegenüber Einwanderern wie ihm. „Sicher, wenn man aus Deutschland kommt“, sagt er, „dann sind die Japaner nett, kann ich mir vorstellen. Aber ich bin für die doch nur ein Sangokujin.“

Der Begriff Sangokujin ist ein abwertendes Wort für Ausländer und wird meist auf Koreaner und Chinesen bezogen. Obwohl es in Japan klar auf der schwarzen Liste der politisch inkorrekten Wörter steht, hört man es immer wieder aus den Mündern rechtskonservativer Politiker, wie etwa dem des Tokioter Bürgermeisters, Shintarô Ishihara. Dieser forderte zuletzt im Sommer 2000 in einer Ansprache vor Angehörigen der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte dazu auf, sich bereitzuhalten, falls die Sangokujin aufs Neue grausame Verbrechen begingen. Dies wurde von vielen Kritikern als eine Anspielung auf Ereignisse angesehen, die sich nach dem großen Erdbeben von Tokio 1923 abgespielt hatten. Als sich damals Angehörige von Polizei und Bürgerwehren aufmachten, vorgebliche Verbrechen von Ausländern zu ahnden, eskalierte die Aktion in einem Massaker, in dem nach Schätzungen etwa 200 Koreaner den Tod fanden. Obwohl Ishihara für diese Ansprache sowohl im Ausland als auch von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen in Japan scharf kritisiert wurde, weigerte er sich, seine Worte zurückzunehmen mit der Begründung, Sangokujin sei doch ein „normales Wort“. Seiner Popularität hat dies nicht geschadet: Ishihara gilt als ehrlicher Politiker, der „offen seine Meinung sagt“.

Es sind Dinge wie diese, die Kim immer wieder aufstoßen. Die 27-jährige Koreanerin schreibt gerade ihre Magisterarbeit in Theaterwissenschaften und lebt seit drei Jahren in Tokio. Sie hat viele japanische Freunde und fühlt sich eigentlich sehr wohl in Japan, „aber was mich oft stört, ist diese Unsensibilität hier“, sagt sie unter Anspielung auf die Wortwahl Ishiharas. „Die Leute hier denken doch gar nicht erst darüber nach, was es heißt, wenn Ishihara von Sangokujin spricht. Sie hören von den Reaktionen aus Korea und China, sorgen sich ein bisschen um das Ansehen Japans im Ausland, aber eigentlich fragen sie sich, wozu die Aufregung gut sein soll.“

Das Ausland und die Menschen, die von dort gekommen sind, stellen in Japan eher eine Randerscheinung dar als einen Bestandteil der Alltagskultur, weshalb auch die Empfindlichkeiten von Ausländern häufig unverständlich bleiben. Das liegt zum einen an ihrer verhältnismäßig geringen Zahl, zum anderen aber auch an der geografischen Isolation der Inseln, von denen aus jede Landesgrenze unsichtbar und fern erscheint. Auch wenn heute internationaler Austausch ein Schlagwort von großer Zugkraft darstellt, ist der Raum, den die Welt außerhalb Japans im Alltagsleben einnimmt, eher gering. Während ferne Länder in unzähligen Filmen und Fernsehdokumentationen direkt ins heimische Wohnzimmer gestrahlt werden und in Restaurants und Themenkneipen die Exotik jeder nur denkbaren Weltregion dargestellt und inszeniert wird, ist auf den Straßen, von einigen Vierteln in den Großstädten abgesehen, selten eine andere Sprache als Japanisch zu hören, gibt es wenige direkte Berührungspunkte mit fremden Kulturen. Dadurch bildet Japan immer noch in weiten Teilen eine eigene Welt, in der die Integration von Einwanderern letztlich nicht vorgesehen ist. In einem Land, in dem fremde Kulturen hauptsächlich virtuell in den Alltag einfließen, muss man zum Japaner geboren sein – als japanisches Baby von japanischen Eltern, in Japan.