Deutsche Geschichten

Irgendwo warteten immer die Einfamilienhäuser: Jürgen Teipel präsentiert heute Abend im Hafenklang seine Punk- und New-Wave-Chronik „Verschwende Deine Jugend“

von JULIAN WEBER

Die Zeit ist reif für Punk. Zumindest als Buchthema. Mit Verschwende Deine Jugend (Suhrkamp) hat der Journalist Jürgen Teipel einen „Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave“ veröffentlicht. Bekannte und unbekannte Punks aus den Anfangstagen in Düsseldorf, Hamburg und Westberlin machte Teipel ausfindig und befragte sie. In Verschwende Deine Jugend gehe es um die „gesellschaftsverändernde Punk- und New-Wave-Revolution“, sagt der Autor selbst.

„Ich hatte eigentlich die Idee zu einer groß angelegten Geschichte, mit verschiedenen Charakteren, die ich in ihrer ganzen Tiefe ausloten wollte. Spannungsbögen, Handlungsebenen – alles sollte miteinander verzahnt sein, so wie bei Thomas Manns Buddenbrooks.“ Statt der hanseatischen Familiensaga las Teipel Bücher wie Edie und Please Kill Me – The Uncensored Oral History of Punk, spannende Dokumente über die New Yorker Factory-Szene Ende der 60er und über die Entstehung des Punk einige Jahre später. Diese Veröffentlichungen folgen der Methode der Oral History: Man zeichnete Interviews mit Beteiligten auf und gab sie auszugsweise wieder. Das sei eine unverkrampfte Art, Geschichten zu erzählen, so Teipel. Verschwende Deine Jugend besteht aus Interviewschnipseln mit mehr als 70 AkteurInnen, darunter so bekannte Leute wie Ben Becker, Blixa Bargeld und Campino, aber auch heute weitgehend vergessene wie Franz Bielmeier und Martina Weith. Erste Anzeichen von Punk nahmen die ProtagonistInnen des Buches wahr durch Artikel in Bravo oder Spiegel oder durch den Kauf von Schallplatten – also aus zweiter Hand.

Verschwende Deine Jugend reflektiert auch die verhärtete politische Stimmung in der Bundesrepublik Ende der 70er Jahre, nach den Ereignissen von Mogadischu und Stammheim. „Punkrock war ja gerade so interessant, weil es auf einmal keinen ideologischen Ballast mehr gab. Das Tolle war, dass man sich selber erfinden konnte“, resümiert Jäki Eldorado, einer der ersten deutschen Punks (selbst erklärt gar der erste überhaupt), heute Manager u.a. der Hamburger HipHop-Crew 5 Sterne Deluxe. So wie er wollten sich die meisten weder mit den christ- und sozialdemokratischen Autoritäten des in den letzten Zügen liegenden Nachkriegsdeutschland abfinden – noch bei den ihrer Meinung nach spießigen und verkrusteten Linksradikalen landen. Mit Gewalttätigkeit und Nazi-Symbolen selbstbequeme Hippies und Linke zu provozieren, das mag Ende der 70er Jahre in Westdeutschland Sinn gemacht haben – heute, im Zeitalter von Nazipunk und völkischem Gothic, muten solche Gesten eher komisch an.

Für Punk in Deutschland gab es kaum Pop-Erklärungsmodelle und auch keine musikalischen Traditionen, gegen die man sich hätte wenden können. Selbst der Bruch mit dem für verabscheuungswürdig gehaltenen Kraut- und Prog-Rock sowie mit den Hippie-Sozialarbeitern und -Lehrern wirkt – spätestens im Rückblick – irgendwie bemüht. Trotzdem kam manch toller Song dabei heraus. „In Wirklichkeit waren wir weder Revolutionäre noch Bohemiens. Wir waren Auszubildende. Irgendwo wohnten immer diese Eltern in ihren Einfamilienhäusern“, erklärt der Düsseldorfer Musiker Ralf Dörper. Verschwende Deine Jugend ist so nicht zuletzt auch das Sittenbild einer Generation, die sich durch spielerische Ablehnung in relativ gesicherte gesellschaftliche Positionen hineinkatapultieren konnte. Eine deutsche Geschichte.

Soeben ist ein gleichnamiger Sampler mit teils raren Musikbeispielen erschienen (Ata Tak/Universal), bei seiner Lesereise spielt Teipel Audio Files seiner Interviews, bewegte Bilder soll es zu sehen geben, und wo immer möglich, sind Gäste geladen: heute schwelgt Jäki Hildisch (alias Eldorado) in – nostalgiefreien – Erinnerungen.

heute, 21 Uhr, Hafenklang