Allianz gegen das PVC

Der Chlorkunststoff soll in der EU ersetzt werden. Lobby der Hersteller arbeitet dagegen, Entsorgungswirtschaft samt Kommission und Greenpeace dafür

BRÜSSEL taz ■ Zu einer außer gewöhnlichen Allianz haben sich in Brüssel grüne EU-Abgeordnete, Greenpeace und der deutsche Bundesverband der Recyclingwirtschaft zusammengefunden. Es geht um die Zeitbombe Polyvinylchlorid, kurz PVC. Vier Millionen Tonnen PVC-Abfall fallen jährlich in der Union an – Tendenz steigend. Der Kunststoff besteht zu fast 40 Prozent aus Chlor. Je nach Anwendungsbereich werden hochgiftige Stabilisatoren oder Weichmacher zugesetzt – Stoffe, die in der Verbrecherkartei für Umweltsünder ganz oben stehen: Cadmium, Blei, FCKW, PCB und DDT.

Seit fünf Jahren beschäftigt sich die EU-Kommission mit dem Thema. Bereits im Juli 2000 veröffentlichte sie ein Grünbuch auf der Grundlage mehrerer wissenschaftlicher Gutachten. Das Fazit: In allen Anwendungsbereichen kann PVC durch andere Kunststoffe oder Holz ersetzt werden. Die Herstellungskosten würden sich dadurch geringfügig erhöhen, die Entsorgungskosten aber dramatisch verringern. Denn PVC ist ein Stoffgemisch, das fast nicht wieder loszuwerden ist: Auf Mülldeponien treten im Lauf der Jahre die giftigen Zusatzstoffe aus. Bei der Verbrennung entstehen mehr Schadstoffe, die ausgefiltert und gelagert werden müssen, als im Ausgangsprodukt enthalten waren.

Bleibt nur das Recycling. Die Erfahrungen, die die Entsorgungswirtschaft in den vergangenen Jahren damit gemacht hat, haben den Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung zum Bündnispartner von Greenpeace und den Europagrünen gemacht. Denn kein anderer Stoff, so die Studien, eignet sich so wenig fürs Recycling wie PVC. Die Schadstoffe werden ins neue Produkt weitergeschleppt. Dabei entsteht ein teurer, aber minderwertiger Kunststoff, der allenfalls für Parkbänke, Leitplanken und Blumenkübel taugt. Nutzdeponie sagen die Experten dazu – die Parkbank als Sondermüllsenke.

Das Problem ist in Brüssel erkannt. Gebannt aber ist es noch lange nicht. Diese Woche wollte die EU-Kommission eigentlich ein Strategiepapier veröffentlichen, wie die PVC-Produktion in den kommenden Jahren schrittweise heruntergefahren werden kann. Die Generaldirektion Industrie aber blockiert diesen Plan. Sie will lieber den Vorschlag der PVC-Industrie aufgreifen, die eine freiwillige Selbstverpflichtung angeboten hat. Sie will bis 2005 die Hälfte aller „sammelbaren“ PVC-Fußböden recyceln.

Eine Umstellung auf Ersatzstoffe aber bietet die Industrie nicht an. Offiziell begründet sie das mit den hervorragenden Eigenschaften von Polyvinylchlorid. Tatsächlich aber steckt etwas anderes dahinter: PVC selbst ist bereits eine Sondermüllsenke. Da es zu fast 40 Prozent aus Chlor besteht, wird dieses giftige Nebenprodukt aus der Natronlaugen-Herstellung kostenlos aus der Welt geschafft. Natronlauge wird als Reinigungsmittel und für Kunstdünger in großen Mengen gebraucht. Es gibt ein Produktionsverfahren, bei dem kein Chlor entsteht – doch das ist wesentlich teurer.

DANIELA WEINGÄRTNER