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: HELMUT HÖGE über die letzten Dinge

Neues aus der Sperrmüllforschung

Ulf Mann, der einmal 35 Millionen Mark nach Steuern erbte und zuvor schon experimentell in Saus und Braus gelebt hatte, begründete mit dem Geld die Stiftung Umverteilen. Diese half u. a. der taz beim Kauf und Ausbau ihres „Rudi-Dutschke-Hauses“, wo nun schon wieder ein finanzieller Engpass droht. Ulf Mann hat sich derweil immer mehr dem Definanziellen verschrieben.

In einer Arte-Sendung über Müll – von Imma Harms und Thomas Winkelkotte, mit dem Titel „Geschichten vom Wegwerfen und Aufheben“ – erzählt der Millionenerbe seine Hinwendung zum Aufheben – des Weggeworfenen. In der von Zumüllung bedrohten Überflussgesellschaft fällt ihm die Rolle des Guten zu. Man könnte deswegen fast sagen, dass es ein Film über Ulf Mann ist, der jedoch immer wieder hinter seinen Fundstücken zurücksteht. Es geht um Abfall: um die Dinge, „die einmal einen Ort ausmachten“ – der verschwindet, nachdem sie auf den Müll gewandert sind. Nach dahin ist es jedoch ein langer Weg – Transitstrecke der Entwertung genannt. Dort winkt all diesen Dingen eine kurze Zeit der Freiheit. So ähnlich wie Thomas Pynchon sie am Beispiel von Byron der Birne erzählt hat, nachdem diese durch Zufall der Vernichtung durch das Glühbirnenkartell entkommen war.

Die aus der Ordnung rangierten Dinge atmen gewissermaßen wieder Bedeutung ein. Während sie z. B. auf dem Trödelmarkt herumlungern, wo ein Hauch von Abenteuer weht. Die Freiheit, die einst durch das auf dem Markt versammelte Volk sich einstellte, ist voll auf die Seite der Gegenstände übergegangen. Nicht die Menschen dürfen mehr zueinander kommen – in den Freihandelszonen –, nur noch die Dinge. Wenn mein chinesisches Milchkännchen erzählen könnte!

Ein sowjetischer Porzellanteller aus der Zeit des Großen Terrors – mit der Aufschrift „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ – kostet heute laut Versteigerungskatalog 5.000 Dollar. Manchmal lohnt es sich also, nicht gleich alles zu zerschlagen! Die weitaus billigeren Dinge auf dem Trödelmarkt werden von den beiden Arte-Filmemachern getröstet: „Sie haben noch eine letzte Chance!“ Es könnte sogar ein „Start-up“ daraus werden, wenn z. B. eine alte Stehlampe sich dort gerade noch für 5 Mark retten konnte und sich daraufhin in einer neuen – teuren – Designermode wiederfand. Aber irgendwann „fällt jeder Gegenstand in die reine Stofflichkeit“ zurück, flüstern Harms/Winkelkotte fast. Ihr letzter Blick fällt auf die Müllkippe.

Über diesen Ort hat bereits Eduard Schreiber einen beeindruckenden Film in der Wende gemacht: als dort tonnenweise die DDR und ihr Sozialismus entsorgt wurde. Bei Harms/Winkelkotte geht es jetzt eher um die Frage: „Wie man (anschließend) mit dem Müll umgeht?“ Für die Archäologen sind z. B. die Müllberge aus der Steinzeit, so genannte Kjoellkemoeddings, sehr aufschlussreich. Während Ulf Mann den Müll von morgen archäologisiert, geht die Stadtreinigung langsam zur modernen „Müllberatung“ über.

Mit seinem Credo „Die Mehrkomponentenwertstofftone ist eine völlige Sackgasse“ wird Joschka Fischer Außenminister. Immer mehr Menschen halten daraufhin ihren Müll zurück. Schon droht das entgegengesetzte Soziosyndrom: „Das Schwierigste am Sammeln ist das Wegwerfen“, stöhnt der Bibliothekar Albert Köster. Auch ich bräuchte gelegentlich einen Müllmanager. Zumal jetzt sowieso mehr und mehr der Access als der Besitz zählen soll – und Mobilität erforderlich ist. Im Müllfilm ist von den „Dingen ohne festen Wohnsitz“ die Rede, die man mit noch so viel Geld nicht kaufen kann, weil sie umsonst zu haben sind. Die Dinge haben es gut! Kein Wunder, dass man ihnen in dem melancholischen Arte-Film mit Bangen durch die verschiedenen Stadien folgt: Werden sie es schaffen?!