Annäherungen vom Rande

Universell und privat, existenziell und alltäglich: Die Filme von Edward Yang sind inhaltlich und formal durchdrungen von einer sehr menschlichen Philosophie des Aufgehobenseins. Das Arsenal zeigt eine Reihe mit Filmen des taiwanesischen Regisseurs

von ANKE LEWEKE

Immer wieder schweift die Kamera in Edwards Yangs Filmen über das nächtliche Taipeh, über gigantische Stadtlandschaften und vor sich hin brummende Autobahnen. Manchmal sind die Aufnahmen von einer melancholischen Klaviermusik unterlegt – eine Megametropole und ihre Bewohner kommen zur Ruhe. Auch wenn es Yangs Figuren vielleicht nicht ahnen, sie sind nicht allein, ihre Erlebnisse sind längst in anderen Geschichten und Erzählungen aufgehoben.

Schon die Titel von Yangs Filmen erzählen von einer sehr menschlichen Philospohie des Aufgehobenseins. Mahjong ist ein altes chinesisches Spiel, bei dem es von jedem Motiv vier Steine gibt, die man einander zuordnen muss. In Yangs gleichnamigem Film aus dem Jahre 1996 sind es die Sorgen, Ängste und auch Hoffnungen, die ein unsichtbares Band zwischen den Figuren spinnen. Taipeh wird hier zum Wilden Westen des ausgehenden Jahrtausends, während die Protagonisten eine Parade der Spieler, Betrüger und Glücksritter ergeben. Längst sind die geschäftstüchtigen Fassaden rissig geworden, widmet sich Yang den Verletzungen und Verstörungen hinter dem asiatischen Wirtschaftshype. Zutiefst erschüttert brüllt sich einer junger Mann die Seele aus dem Leib. Von der Kamera begleitet bahnt sich sein Schrei einen Weg durch die nächtlichen Betonschluchten.

Auch in seiner Familiengeschichte „YiYi“ geht Yang auf die Suche nach unsichtbaren Verbindungen, Gleichzeitigkeiten und Wiederholungen. Es geht darum, wie sich Erfahrungen von einer auf die nächste Generation übertragen, wie eine alte Liebe sich im Licht einer jungen, neuen erzählen lässt.

Gerade in dieser Gleichzeitigkeit verlieren die Probleme und Erlebnisse ihre Schwere, aber nicht ihre Bedeutung. Sie gehen ein in einen Strom menschlicher Erfahrungen, die in Yangs Film zugleich universell und privat, existenziell und alltäglich sind.

Annäherungen vom Rande: So könnte man den Ansatz seines Kinos beschreiben. Eher beiläufig verweisen die kleinen Krisen seiner Figuren auf die großen außerhalb der Appartementhäuser, in deren Fluren allmählich die Farbe abbröckelt. So spiegelt sich etwa im Berufsalltag des Vaters aus „YiYi“ die Krise der asiatischen Wirtschaftsmetropolen.

„Yi Yi“ ist der dritte Teil von Edward Yangs Trilogie der Unsicherheit, zu der auch die Filme „Konfuzianische Verwirrung“ und „Mahjong“ gehören. Stets geht es um Lebenswege zwischen familiären Bindungen, überlieferten Werten und einem urbanen Lebensgefühl im Rhythmus der Globalisierung. Die Auseinandersetzung mit Kategorien wie Zugehörigkeit, familiären und kulturellen Wurzeln ist der rote Faden einer ganzen Regisseursgeneration, der so genannten Neuen Taiwanesischen Welle. Die Affinität für solche Themen liegt in den Biografien der Filmemacher begründet: Sowohl Edward Yang als auch sein legendärer Kollege Hou Hsiao-hsien stammen vom chinesischen Festland. Nach dem Sieg der Kommunisten wanderten ihre Familien Anfang der Fünfzigerjahre nach Taiwan aus.

In seinem 1991 entstandenen Film „A Brighter Summer Day verarbeitet Yang seine Erinnerung an diese Zeit, indem er die Geschichte einer Jugend zwischen dem Gefühl des Unerwünschtseins und der Anbindung an gewalttätige Jugendbanden erzählt. Der Titel ist Anspielung auf einen Presley-Song und damit auch Verweis auf den immer größer werdenden Einfluss der amerikanischen Kultur in Taiwan. Als Epos, das von den Zeiten der Haltlosigkeit, der Unsicherheit und des Suchens erzählt, ist „A Brighter Summer Day“ eine Art taiwanesisches „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Auch in diesem Film geht Yangs Blick von der Peripherie ins Zentrum, von der zerrissenen Gefühlswelt eines Halbstarken mitten hinein in die Kulturkrise einer Gesellschaft.

Wichtigstes filmisches Instrument in Yangs Filmen ist die Totale. Aus der Distanz dieser Einstellung konstruiert er seine filmischen Räume. Ihre Tiefe und Offenheit macht die ungeheure Plastizität seines Kinos aus. Immer wieder wirken Yangs Einstellungen wie leere Seiten, die sich allmählich füllen – mit Menschen, Zeichen, Worten und Gefühlen. Eine Tür, in der sich zwei Schatten spiegeln, zwei Stimmen, die hörbar verlegen Kontakt miteinander aufnehmen. So diskret fällt die erste Annäherung zwischen Xiao Si¹r und Ming in „A Brighter Summer day“ aus. In „YiYi“ sind die dramatischsten Momente häufig jene, in denen das Bild wie ein Stillleben wirkt. Wenn etwa der ruinierte Onkel der Familie seinen Zusammenbruch erlebt, ist nur die mit neureichen Statussymbolen eingerichtete Wohnung zu sehen. Aus dem Off hören wir die hysterische Stimme seiner Frau, die verzweifelt an die Badezimmertür klopft. Paradoxerweise ist es wiederum die Totale, die bei Yang etwas Tröstliches hat, indem sie durch Spiegelungen Innen und Außen verbindet. So werden Yangs Figuren in einem emphatischen und sehr sozialen Sinn Teil der Umgebung, in der sie sich bewegen. Sie leben in Wohnungen, die transparent wirken, weil sie die Lichtreflexe der Außenwelt hineinlassen. Sie arbeiten in Büros, deren Glasscheiben die menschliche Anwesenheit verstärken und vervielfachen. Selbst in ihren privatesten Momenten findet sich die Präsenz der Großstadt. So sind Yangs Filme nicht nur inhaltlich, sondern auch formal durchdrungen von einer diskreten Utopie des Aufgehobenseins.

Bis 25. 5, Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tiergarten, Termine siehe cinema taz