Frontstadt-Reflexe leben wieder auf

Berlin vor dem Bush-Besuch: Boulevardzeitungen warnen vor US-feindlichen „Chaoten“. Demoveranstalter bestreiten Antiamerikanismus

BERLIN taz ■ Wenige Tage vor dem Besuch von George W. Bush kann niemand voraussagen, ob es zu schweren Krawallen wie am 1. Mai kommt oder ob die Proteste gegen den US-Präsidenten friedlich bleiben. „Schwer einzuschätzen“ sei die Lage, räumte auch der Chef der Berliner Schutzpolizei gestern ein.

Auf jeden Fall ist die Polizei gut vorbereitet. Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der seit seiner viel kritisierten „Deeskalations-Strategie“ am 1. Mai unter Druck steht, versicherte, beim Bush-Besuch würden „deutlich mehr“ Beamte aufgeboten als bei der Mai-Randale, als 7.700 Polizisten im Einsatz waren. Aus mehreren Bundesländern kommt Verstärkung. Mit vereinten Kräften wird das gesamte Regierungsviertel „hermetisch“ abgeriegelt, dem hohen Gast versprach Körting „absolute Sicherheit“.

Während sich der SPD-Senator um Entwarnung müht, macht die Boulevardpresse umso kräftiger mobil. In guter alter Tradition wird Berlin als „Symbol deutsch-amerikanischer Freundschaft“ hochgehalten, das durch die Demos gefährdet sei. Für die Bild-Zeitung reichten angebliche, äußerst vage Hinweise in einem „geheimen Polizei-Papier“, um in großer Aufmachung zu warnen: „Chaoten wollen Bush-Besuch in Berlin sprengen“. Ohne konkreten Beleg verurteilt das Blatt schon mal im Voraus die „zu erwartenden antiamerikanischen Krawalle und Straßenschlachten eines gewalttätigen Polit-Pöbels“.

Wer gegen Bush ist, der ist gegen Amerika und zu allen Schandtaten bereit: Mit dieser simplen Gleichung lässt sich in der alten Frontstadt Berlin auch dreizehn Jahre nach dem Fall der Mauer noch Stimmung machen. Das wissen auch die Veranstalter der Großdemos. Deshalb betonen sie, dass diese Gleichung überhaupt nicht stimme. „In keinster Weise antiamerikanisch“ seien die geplanten Proteste gegen Bush, sagt Pressesprecher Reiner Braun von der „Achse des Friedens“, dem bundesweiten Bündnis zum Bush-Besuch. Die Demos richteten sich nicht gegen Amerika, sondern gegen die Politik der derzeitigen US-Regierung. Ob da das Plakat der Globalisierungskritiker von Attac so hilfreich war, mit einem Uncle-Sam-Bild und der Aufschrift: „Achtung! Bush kommt“? „So lange sie friedlich sind, äußere ich mich nicht zu den Aktionen der Teilnehmer“, sagt Braun diplomatisch.

Fast hundert Organisationen von Attac bis zum „Zentrum für Ethik und Recht in der Medizin“ aus Freiburg haben sich dem Bündnis angeschlossen. „Mehrere zehntausend“ Bush-Gegner erwartet Braun allein in Berlin. Aber auch in vielen anderen Städten will die „Achse des Friedens“ vom 21. bis 23. Mai den Protest gegen Bushs Politik zum Ausdruck bringen. Geplanter Höhepunkt ist ein bundesweites „Bush-Trommeln“ am Mittwochabend.

Natürlich könne man nicht verhindern, dass „nachts in Kreuzberg“ randaliert werde, aber zumindest für die großen Veranstaltungen ist Braun optimistisch. Für Frieden sollen „800 bis 1.000“ eigene Ordner sorgen. „Je mehr friedliche Teilnehmer es gibt, desto eher gehen die anderen in der Masse unter.“

Dass bei so vielen Bush-Gegnern, die aus so unterschiedlichen Motiven demonstrieren, auch die Botschaft untergehen könnte, glaubt Braun nicht. Damit am Ende mehr hängen bleibt als ein diffuses „Anti-Bush“, soll die inhaltliche Kritik auf der Hauptkundgebung am 21. Mai gebündelt werden. Fünf Redner sollen erklären, was „das andere Deutschland“ an Bush auszusetzen hat: Von der Klimapolitik über die „Kriegstreiberei“ bis zur Weigerung der USA, den Internationalen Strafgerichtshof zu unterstützen. LUKAS WALLRAFF

Infos: www.achse-des-friedens.de