„Ich fühle mich als Versager“

Der Mann ohne Eigenschaften: Moby über seinen unerwarteten Aufstieg zum Megastar und seine mangelnde Eignung zum Exzess, über die Prunksucht seiner Kollegen sowie Pannen beim Tantrasex

Interview MARCEL ANDERS

Mister Moby, seit Ihrem letzten Album „Play“ gehören Sie zur Spitzenliga des Pop: Sie sind bei der Abschlussfeier der Olympischen Winterspiele in Salt Lake City aufgetreten, Sie haben mit U2 gespielt, Sie haben …

… David Bowie auf der Gitarre begleitet und mit New Order gesungen. So gesehen waren die letzten Jahre großartig. Aber irgendwie habe ich das komische Gefühl, als wäre ich immer noch Zuschauer und nicht derjenige, der etwas aktiv erlebt. Immer wenn etwas Tolles passiert, stehe ich irgendwie daneben.

Wünschen Sie sich, Ihr Leben wäre mehr Celebrity-like?

Es ist ja nicht so, dass ich ein langweiliger Spießer bin, der nie sein Haus verlässt. Auch ich bin schon mit Filmstars ausgegangen oder habe ausschweifende Partys besucht und konnte mich sehr gut damit anfreunden. Andererseits komme ich mir bei diesen Gelegenheiten immer als Zuschauer vor, der zwar dort ist, aber nicht richtig dazugehört. Ich denke aber, dass ich ein paar Defizite habe, wenn es darum geht, sich richtig zu amüsieren.

Gar keine Ausschweifungen?

Nun ja, ich hatte schon die eine oder andere Affäre, aber in letzter Zeit ist es eher ruhiger geworden. Wenn ich dagegen Leute wie Tommy Lee sehe, werde ich richtig neidisch: Wo immer er auftaucht, liegen ihm die Frauen zu Füßen. Wir sind gute Freunde, deshalb weiß ich, wovon ich rede. Dagegen bin ich eine ganz kleine Nummer. Manchmal ist es schon erschreckend, wie sehr sich mein Leben in dieser Hinsicht von dem eines richtigen Rockstars unterscheidet.

Am Geld kann es ja nicht liegen: Sie könnten sich doch jeden Exzess leisten, oder?

Also, ein Privatflugzeug ginge klar über meine Verhältnisse. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob ich all die wilden Partys so einfach wegstecken könnte. Schau dir die ganzen Rocker an, die waren doch alle mindestens zehn Jahre am Stück besoffen: Das hält doch kein normaler Mensch aus. Müsste ich mich einen Monat lang jeden Abend betrinken, würde ich sofort in Rente gehen. Ich habe es rein physisch einfach nicht drauf, diesen degenerierten Lebensstil bis zur letzten Konsequenz zu leben.

Dafür sehen Sie ja auch noch nicht so verbraucht aus …

Danke. Die Leute reden immer über Keith Richards und dass er eigentlich noch ganz gut aussieht in Anbetracht der Exzesse, die er hinter sich hat. Na gut, aber der Mann ist erst in seinen 50ern – er ist noch nicht so alt, wie er aussieht. Man muss ganz ehrlich sagen, dass er verdammt fertig aussieht.

Was machen Sie dann mit all Ihrem Geld? Ihr letztes Album „Play“ hat sich doch fast zehn Millionen Mal verkauft …

Ich investiere in Anleihen, Aktien, Fonds, was auch immer. Zum Ausgeben fehlt mir einfach die Zeit. Und als ich von der „Play“-Tour zurückkam, wurde mir erst klar, wie sehr ich mit meiner bescheidenen, kleinen Wohnung zufrieden bin. Ich bin nun mal Musiker und möchte den Großteil meiner Zeit mit Musik verbringen – nicht beim Aussuchen einer passenden Inneneinrichtung.

In der Sendung „MTV Cribs“ kann man vergleichen, wie andere Popstars so wohnen …

„Cribs“ ist einfach die beste Show seit Jahren und außerdem der beste Beweis dafür, dass die meisten Musiker im Grunde ihres Herzens kleine Kinder geblieben sind, denen man jede Menge Geld gegeben und jede Verantwortung genommen hat. Schauen Sie sich nur an, wie sie leben!

Es ist einfach unglaublich, aber Rockstars leben wirklich in den hässlichsten Häusern mit der grausigsten Einrichtung, die es gibt. Es ist unfassbar, wie sie mit ihrem Billardtisch aus purem Gold oder ihrem Schrank mit 8.000 Paar Schuhen angeben – dafür würde ich mich schämen! Das ist doch so, als wäre man dabei erwischt worden, wie man ins Bett macht! Aber diese Leute sind noch stolz darauf!

Und Mariah Carey war wirklich der Gipfel der Dekadenz. Alleine ihr Kleiderschrank ist doppelt so groß wie meine Wohnung. Mein Studio würde locker in den Raum passen, in dem sie ihre Schuhe aufbewahrt. Als ich diese Dimensionen sah, fühlte ich mich an Pompeji erinnert – bevor der Vulkan ausbrach.

Das macht ja gerade den Unterhaltungswert aus, oder?

Stimmt. Wenn ich mir das so anschaue, fühle ich mich in meiner Rolle als öffentliche Person fast wie ein Versager. Denn mal ehrlich: Wenn Sie die Wahl hätten, eine Dokumentation über Led Zeppelin oder über Moby zu sehen, wofür würden Sie sich entscheiden? Auf der einen Seite Led Zeppelin mit all ihren Groupies, Drogen und Privatflugzeugen und auf der anderen Seite mich, wie ich alleine in meinem Studio sitze. Ich glaube nicht, dass die Entscheidung allzu schwer fällt.

Sie haben dafür in den USA eine eigene Show auf MTV. Worum geht es bei „Senor Moby’s House Of Music“?

Das ist die vielleicht simpelste Show in der Geschichte des Fernsehens: Ich spiele ein paar Videos, unterhalte mich hin und wieder mit anderen Musikern und filme das Ganze mit meinem Camcorder. Es ist so amateurhaft, dass es wirklich jeder machen könnte.

Der Erfolg Ihres Albums „Play“ kam nicht von ungefähr: Alle Songs wurden für Werbespots oder Filme lizenziert, manche sogar mehrmals …

Stimmt. Insgesamt haben wir 900 Lizenzen für das Album vergeben, was absoluter Weltrekord ist. Gar nicht so schlecht, wenn man bedenkt, dass ich die Platte kurz nach Veröffentlichung als Ende meiner Karriere empfand.

Hat man Ihnen so viel Geld angeboten, dass Sie kein einziges Mal Nein sagen konnten?

Sie würden nicht glauben, wie viele Projekte wir abgelehnt haben. Mein Vertrag besagt, dass meine Songs nicht für Werbezwecke missbraucht werden dürfen – schon gar nicht, wenn es um Tierprodukte, Tabak oder Waffen geht, und gerade bei diesen Firmen ist das meiste Geld im Spiel. Die Tabakkonzerne oder McDonald’s würden alles dafür geben, um mich einzukaufen. Aber ich habe durchaus meine Prinzipien: Damit will ich nichts zu tun haben.

Sie sind seit Jahren bekennender Veganer. In einer Stadt wie New York ist das nicht wirklich schwierig, aber wie kommen Sie auf Tourneen klar?

Jede größere Stadt der westlichen Welt hat mindestens ein gutes vegetarisches oder veganisches Restaurant. Aber zur Not kann ich mich auch selbst bekochen. Ich bin nicht so verwöhnt, dass ich mich nicht mit Spagetti und Tomatensauce oder Reis und Bohnen begnügen würde.

Ihr neues Album „18“ erinnert stark an den Vorgänger. Keine Angst vor Wiederholung?

Ich bin kein Avantgarde-Musiker. Mein Ziel ist es nicht, mich von Album zu Album neu zu erfinden oder durch gewagte Experimente aufzufallen. Während der Arbeit an „18“ habe ich auch Punkrock-Songs und ruhige Instrumentaltitel geschrieben. Aber nichts davon gefiel mir so gut wie die Stücke, die es schließlich aufs Album geschafft haben.

Wonach wählen Sie die Samples für Ihre Songs aus?

Ich stöbere jede Woche durch die Secondhandläden New Yorks und nehme alles mit, was mir gefällt – vor allem Soul-, Disco- und Gospelplatten, denn die haben eindeutig die spannendsten Gesangspassagen. Das Wühlen durch altes Vinyl ist schon fast zum Ritual geworden.

Was sagen die Plattenhändler, wenn plötzlich Moby vor Ihnen steht?

Die Jungs sind alle weit über 50 oder 60 und haben nicht die geringste Ahnung, wer ich bin. Manche wundern sich vielleicht über die Platten, die ich kaufe. Ich schätze, es gibt nicht viele Kunden, die nach obskuren Gospelplatten von 1955 fragen.

Welches war bislang die seltsamste Situation, in der Sie Ihre eigene Musik gehört haben?

Also, ich ging mal mit einem Mädchen aus, die im Bett gerne experimentierte und unbedingt Tantrasex ausprobieren wollte. Das ist diese Geschichte, bei der du drei Stunden lang Sex hast und alles unglaublich langsam ist. Weil ich das selbst noch nicht mitgemacht hatte, sagte ich: Okay, warum nicht? Ich legte eine meiner eigenen Platten auf, und wir legten los. Als wir gerade richtig dabei waren, fing die CD an zu springen. Und da sind wir völlig aus dem Takt gekommen. Na ja, das war dann halt das Ende meiner Tantra-Erfahrung.