Thank you, Mr President!

Mit den Protesten gegen Bush wird die Debatte über deutsche Militäreinsätze wiederbelebt. Die Demokratisierung der Außenpolitik erhält damit eine neue Chance

Mit den Protesten wird der Pseudokonsens in der deutschen Außenpolitik demonstrativ aufgebrochen

Man muss dem US-Präsidenten dankbar sein. Ausgerechnet der Kurzbesuch George W. Bushs in Berlin scheint die lange Zeit des Schweigens in der deutschen Debatte über den so genannten Anti-Terror-Krieg zu beenden. Während Gerhard Schröder und Edmund Stoiber darum streiten, wer der uneingeschränkteste Getreue des Kriegsherrn Bushs ist, scheinen große Teile der politischen Öffentlichkeit anlässlich eines eher nebensächlichen präsidialen Stop-overs eine Auseinandersetzung aufzugreifen, die seit Monaten verdrängt, vertagt und abgewürgt wurde. Es wird wieder über Sinn und Unsinn der deutschen Militäreinsätzen in den Bergen Afghanistans, am Horn von Afrika und am Golf gestritten: Einige der im September 2001 verhängten Denkverbote scheinen in Gefahr.

Der eigentliche Adressat der heutigen Demonstration ist nicht Mr Bush aus Washington – es sind die Herren Schröder und Fischer in Berlin und all jene Abgeordneten, die bislang den Kurs der Kriegsteilnahme uneingeschränkt mitgetragen haben. Seit Mitte der Achtzigerjahre gab es keinen so harten Kontrast zwischen dem parlamentarisch präsentierten Konsens nahezu aller Abgeordneten und einer bestenfalls dürftigen öffentlichen Unterstützung. Denn die Proteste drücken nur medientauglich das aus, worauf ernst zu nehmende Umfrageergebnisse hinweisen: Es gibt zunehmend Zweifel an dem nach dem 11. September eingeschlagenen Kurs.

Wenn es nun des Besuchs des US-Präsidenten bedarf, um eine eigentlich innenpolitische Debatte anzukurbeln, so hat das zunächst weniger mit Ressentiments gegen die USA zu tun, dafür umso mehr mit der offensichtlichen Unfähigkeit der politischen Elite in diesem Land, eine kontroverse außenpolitischen Debatte zu führen. Befürworter einer Kriegsbeteiligung zogen Ende vergangenen Jahres stets die unverbrüchliche Waffenbrüderschaft mit den USA als letztes Argument hervor: Die deutsche Staatsräson erfordere eine uneingeschränkte Unterstützung des US-Kriegskurses. Es ist deshalb verständlich, dass auch die Kritik zunächst gegen Washington gerichtet ist.

Politik über Bande: Nicht gegen die deutschen Bundesregierung wird heute demonstriert, weil sie die US-Politik unterstützt – sondern gegen den US-Präsidenten, weil er eine Politik betreibt, der die Bundesregierung blind folgt. Damit ist auch die naiv vorgetragene Frage Joschka Fischers beantwortet, warum ein US-Präsident unfreundlicher empfangen wird als sein russischer Kollege. Wladimir Putin hat die Bundesregierung – zum Glück! – nie blinde Gefolgschaft geschworen, George W. Bush aber leider bei jeder Gelegenheit.

Proteste brauchen zudem immer einen medial angemessenen Rahmen. Es wäre deshalb absurd, würden Kritiker des deutschen Kriegskurses die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit anlässlich des Bush-Besuchs nicht nutzen, um gegen die von den USA geprägte Linie zu demonstrieren. Wer den offiziellen Aufruf zur heutigen Demonstration liest, erkennt, dass die Forderungen sich in der Hauptsache an die Bundesregierung richten – nicht etwa an den Staatsgast.

Wenn irgendwo antiamerikanische Töne zu hören sind, dann aus der grünen Regierungspartei. Das ist verständlich – schließlich protestiert niemand gerne gegen eigene Fehler. So beklagen grüne Abgeordnete in einem offenen Brief an den US-Präsidenten den Umgang mit den Gefangenen auf Gutánamo. Das ist berechtigt und nötig, lenkt aber von der eigenen Verantwortung ab: Warum nutzen dieselben Abgeordneten nicht ihr Fragerecht im Bundestag, um von der Bundesregierung zu erfahren, was mit Gefangenen geschieht, die mit Hilfe des deutschen KSK festgenommen werden? Dagegen stehen wohl Diskussionsverbote.

Auch ein Krieg gegen Irak wird in dem grünen Appell an Bush für nicht gut befunden. Wenn diese grünen Abgeordneten tatsächlich so denken, warum fordern sie nicht eine eindeutige Haltung ihrer Minister gegen jedwede Unterstützung eines Krieges gegen Irak und den sofortigen Abzug der deutschen Fuchs-Panzer aus Kuwait? Stattdessen lassen sie sich lieber von der eigenen rot-grünen Regierung mit dem lächerlichen Hinweis abspeisen, über einen Angriff auf den Irak sei überhaupt noch nicht entschieden.

Dies sind nur einige Beispiele für die Diskrepanz zwischen der berechtigten Kritik an US-Präsident Bush und der mangelnden Reflexion des eigenen Handelns. Der Bundestag gab schließlich seine Vollmacht für eine deutsche Beteiligung an dem zuvor erklärten weltweiten Krieg der USA. Man kann Bush sehr vieles Vorwerfen, in einem Punkt jedoch hat er seinen deutschen Kollegen etwas voraus: Er sagt, was er vorhat, ohne Umschweife. Auch den Masterplan für den Krieg gegen den Terror haben Bush und seine Berater früh auf den Tisch gelegt.

Der eigentliche Adressat der heutigen Demonstration ist nicht Bush – es sind Schröder und Fischer

Bush hat schon im September von einem weltweiten Krieg gesprochen, der nicht auf Afghanistan und nicht auf Ussama Bin Laden beschränkt bleiben sollte. Mit seiner Vorgabe, dass, wer nicht auf Seiten der USA ist, auf Seiten der Terroristen steht, hat Bush klar gemacht, dass die USA sich auch nicht um Bedenken verbündeter Regierungen kümmern werden. Eine dauerhafte Anti-Terror-Koalition hat es in den Augen der US-Regierung nie gegeben. Diese mag im Wunschdenken einiger rot-grüner Außen- und Militärpolitiker existieren – doch dafür können sie nicht den US-Präsidenten verantwortlich machen.

Die Bilder und Berichte von Protesten in Berlin und anderen deutschen Städten könnten ein wenig Demokratie in die deutsche Außenpolitik bringen – gerade weil sie auch in den USA wahrgenommen werden. Die mediale Globalisierung bietet die Chance, die unter Diplomaten und Militärs immer noch beliebte Idee, militärische und außenpolitische Entscheidungen unterlägen nicht der demokratischen Kontrolle, in Frage zu stellen. Denn wenn Demonstranten immer häufiger mit Hilfe englischsprachiger Transparente auch an die Fernsehöffentlichkeit in anderen Teilen der Welt appellieren, ist dies auch ein Versuch, den Alleinvertretungsanspruch außen- und militärpolitischer Eliten aufzubrechen.

Im aktuellen Fall wird der US-Öffentlichkeit so demonstriert, dass die Unterstützung des US-Kriegskurses durch die Bundesregierung keinen Konsens in der deutschen Öffentlichkeit widerspiegelt. Damit ist nicht viel bewegt – aber immerhin wird der durch den Diskussionsboykott innerhalb der rot-grünen Regierungsparteien geschaffene Pseudokonsens damit demonstrativ aufgebrochen. Denn eine Regierung, die im Ausland nicht mehr vorgeben kann, auf der Grundlage eines außenpolitischen Konsenses zu handeln, kommt unter Druck, ihre Politik zu ändern. Wenn die Debatten anlässlich des Bush-Besuchs zu einer echten Auseinandersetzung über die deutsche Außenpolitik beitragen, dann hat der US-Präsident diesem Land einen Dienst erwiesen. Auch wenn das sicher nicht Ihre Absicht war: Thank you for your cooperation, Mr President! ERIC CHAUVISTRÉ