Gegen Feigheit vor dem Freund

Die Teilnehmer der Demonstration „Achse für den Frieden“ sehen sich nicht als Antiamerikaner. Sie wissen, dass sie in den USA auch Verbündete haben

„Die europäische Untertanenmentalität gegenüber den USA muss endlich ein Ende haben“

aus Berlin ADRIENNE WOLTERSDORF
und SABINE AM ORDE

Wo Gegensätzliches aufeinander trifft, wird es schon mal lauter. Die frei geräumte Innenstadt Berlins bietet am Dienstagnachmittag einen Vorgeschmack auf die für heute angekündigten Sicherheitsvorkehrungen. 10.000 Polizisten sind für den größten Einsatz in der neueren Geschichte Berlins in der Hauptstadt eingetroffen. Sie sollen den vorbeischauenden US-Präsidenten George Bush schützen.

Kurz vor Beginn der Demo des über 200 Gruppen zählenden Bündnisses „Achse für den Frieden“ zeigen die Männer im grünen Kampfanzug nur verhalten Präsenz, warten im Schatten ihrer Einsatzfahrzeuge auf Störer und Randalierer. Doch es bleibt ruhig unter den rund 70.000 DemonstrantInnen. Bis zum Abend keine Zwischenfälle. Nur einzelne missmutige BürgerInnen versuchen mit den Beamten das Sicherheitskonzept zu diskutieren. Vergeblich, kein Kommentar.

Auf dem Boulevard Unter den Linden sammeln sich an diesem Nachmittag all diejenigen, die etwas über und gegen die amerikanische Politik zu sagen haben. Bei der PDS, auf dem einstigen Platz der Bücherverbrennung, geht es betont ausgewogen zu. „Wir wissen schon, mit wem wir solidarisch sein können in den USA“, sagt ein älterer Herr am Rednerpult und erzählt, wie seine Aktivistengruppe auf dem Marsch nach Baltimore von Afroamerikanern mit Getränken versorgt worden seien. Im Publikum vor der PDS-Tribüne dominiert freizeitbeige Kleidung, es sind viele ältere Menschen, vornehmlich Ostberliner, gekommen.

„This is not your world. Go fishing, Mr. Bush“ steht auf einem selbst gemalten Transparent, das eine junge Frau, ganz in Schwarz gekleidet hochhält. Neben ihr ein Mann, der sich auf einen Gehstock stützt und gegen den Kapitalismus ist. Es duftet nach Kölnisch Wasser und PDS-Chefin Gabi Zimmer übt vorne scharfe Kritk an der Anti-Terror-Politik der USA. Sie ist gut in Fahrt und hält der Bundesregierung zudem „Feigheit vor dem Freund“ vor. Langer Applaus. Und immer wieder: Das hier ist kein Antiamerikanismus. Nur eben Kritik an der Politik von US-Präsident Bush.

Alle sind gekommen. Die für das Klimaschutzabkommen von Kioto sind, die für den zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal kämpfen, und natürlich diejenigen, die gegen Krieg und gegen Kapitalismus protestieren. Die gegen Atom und die gegen Amerika. Während sich kurze Zeit später der große Zug der Anti-Sammelbewegung ein bisschen singend und trommelnd auf den Alexanderplatz im Zentrum Ostberlins zubewegt, umrahmen Pfeifkonzerte und Protestgehupe der vorbeifahrenden Autos die einzige Pro-Bush-Demonstration einige hundert Meter Luftlinie weiter. Am Checkpoint Charlie heißt die Berliner CDU den Präsidenten willkommen.

Um 17 Uhr sollte die Abschlusskundgebung sein. Lange davor ist diie Kreuzung am Alex blockiert. Viertel nach fünf zieht der Attac-Block um Ecke, der dritte von zehn. „Wir sind nicht 15.000, wir sind weit mehr als in unseren kühnsten Träumen“, sagt Jutta Kausch, Schauspielerin der Initiative Künstlerinnen und Künstler gegen den Krieg.

Um 17.30 Uhr schließlich geht es los mit der Kundgebung. Zuerst spricht Rolf Wischnath, der Generalsuperintendent der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Er sagt „nein zu jeder Form des Terrorismus. Dennoch war der 11. September keine Zeitenwende. Die Weltsituation hat sich mit diesem Datum nicht von Grund auf geändert.“

Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung ist auch gekommen. „Die Welt könnte heute 12 Milliarden Menschen ernähren. Wir sind nur die Hälfte und trotzdem sind 826 Millionen Menschen auf der Welt permanent unterernährt. Wer heute auf diesem Planeten an Hunger stirbt, der wird ermordet. Für diese mörderische Weltordnung trägt das amerikanische Imperium die Hauptverantwortung, nicht aber das amerikanische Volk.“ Er kritisiert, dass die USA sich sperren gegen Kioto, Biowaffenkonvention, Strafgerichtshof, Landminen. „Die europäische Untertanenmentalität gegenüber den USA muss ein Ende haben.“