Trommeln hinter jedem Bush

Der friedliche Protest gegen den Besuch von US-Präsident Bush dominiert die Stadt. Mit Brezeln, Transparenten und Musik tauchen Demonstranten an vielen Orten auf und wieder ab. Zum Tamtam versammeln sich mehr als 20.000 am Lustgarten

Nacht zu Mittwoch, Mitte: Friedrich-, Wilhelm- und Axel-Springer- und andere Straßen heißen plötzlich „Busch der zivilisierten Welt“, „x-Achse des Bösen“ oder „Straße der Anarchie“. Das Werk einer Klebegruppe names „Rename the streets“.

5.00 Uhr, Monbijoupark: Auf der Wiese liegt eine aus gelben Plastikrohren zusammengeknotete Riesenbrezel. Zwei Gestalten lassen von einem Baustellenkran Seile herab. Doch das Plastikgebäck will nicht richtig nach oben, schwankt, knickt zusammen, landet auf dem Boden. Nur ein Transparent war kurz lesen: „Justice Attac“ steht drauf. Bauarbeiter stampfen auf ihren Kran zu. „Mensch, Jungs, holt mal kräftig Luft“, sagt der Chef. Wenn man ihn nett gefragt hätte, hätte er gar seinen Kranführer zur Mitarbeit überredet.

12.00 Uhr, Fröbelstraße, Prenzlauer Berg: Nic Nagel (29, Deutsche) und Serge Castro (28, US-Amerikaner) haben gerade vor dem Standesamt geheiratet. Die 30-köpfige Hochzeitsgesellschaft erklimmt einen Hänger mit Soundsystem und lässt sich durch den Kiez kutschieren. „Spaß kann auch Widerstand machen“ steht auf dem Wagen. Von der US-Regierung sei er enttäuscht, erklärt der Bräutigam. Die sehe nur Paranoia. „Wir haben einen netten Termin gesucht“, meint die Braut, Mitglied bei Attac, „da kam uns der Bush-Besuch ganz recht.“

13.00 Uhr, Theodor-Heuss-Platz: 20 junge Menschen trommeln und warten auf den per Infotelefon angekündigten „politischen Karneval“. „Wo wollen die denn hin?“, wundert sich kurz darauf einer von zwei anwesenden Polizisten, als die Karnevalisten das SFB-Foyer entern. Die Beamten bleiben entspannt, nur auf das Megafon haben sie es abgesehen. „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“, tönt es daraus. „Lasst uns denen doch einfach Besucherausweise ausstellen“, witzelt eine SFB-Angestellte. Ebenso schnell, wie sie auftauchten, sind die Karnevalisten wieder in alle Winde verstreut. „Wir hätten jede beliebige Institution nehmen können“, erklärt eine junge Frau mit Regenbogenfahne, „wir protestieren einfach gegen Bush.“

13.30 Uhr, Bebelplatz: Die Mahnwache „Ground Zero“ der Frauen in Schwarz geht weiter. Ursula Peters ist schon seit Dienstagnachmittag hier. Die 67-Jährige hat schwarze Fahnen mit Umrissen von Menschen bemalt. Sie sollen an die Opfer von Atomkriegen erinnern.

13.50 Uhr, Unter den Linden: Der Verkehr fließt ganz normal. Vor der Staatsoper langweilen sich Polizisten in drei Mannschaftswagen. Am Straßenrand werden die Infotische aufgebaut, die Antifaschistische Aktion hat das bereits hinter sich. Sie bietet Flugblätter, Broschüren und T-Shirts mit Politparolen an.

13.55 Uhr, Brandenburger Tor: Die letzten Gullys werden verschlossen. In Ermangelung richtiger Siegel kleben zwei Beamte aus Schleswig-Holstein gelbe Aufkleber der Straßenverkehrspolizei darauf. „Der Halter dieses nicht mehr zum Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeugs wird aufgefordert, dieses gemäß § 11 unverzüglich zu entfernen“, steht nun auf den Kanaldeckeln.

14.00 Uhr, Lustgarten: Auf dem Rasen im Lustgarten sonnen sich Bush-Gegner und Journalisten, Touristen und Angestellte in der Mittagspause. Die drei Eiswagen, die vor dem Dom parken, haben Hochkonjunktur. „Supergeschäft“, sagt einer der Verkäufer und reicht ein Schokoladeneis über den Tresen.

14.00 Uhr, Brandenburger Tor: Das Tor ist trotz gegenteiliger Ankündigungen immer noch offen und der abendliche Speiseplan im Restaurant Tucher für Bush, Schröder und Konsorten steht auch noch nicht fest.

14.00 Uhr, Volkspark Friedrichshain: Die bushkritische Hochzeitsgesellschaft ist weiter bester Laune. Dann kommt die Polizei. Die Musik muss leiser gestellt werden. Sind die Papiere in Ordnung? Funktionieren die Bremsen? Ist das Ganze überhaupt ordnungsgemäß angemeldet? Zwei Stunden dauert die Kontrolle. „Spaßbremsen“, nennt ein Passant die Polizisten. Dann geht es weiter zur Demo.

14.15 Uhr, Brandenburger Tor: Die CDU-Abgeordnete Monika Grütters, Vorstandssprecherin der Stiftung Brandenburger Tor, hat nur eine Sorge: wie sie ihren „kleinen schwarzen Kampf-Polo“ noch aus der Tiefgarage neben dem Tor bekommt. Zwei Beamte in schwarzen Overalls, die durch kleine Schildchen an der Brusttasche als „Entschärfer“ ausgewiesen sind, wissen auch keinen Rat. „Warum sind Sie schwarz angezogen?“, fragt Grütters keck. „Weil wir uns dreckig machen“, erwidert der kleine Rundliche von den beiden freundlich. „Sie sind wirklich scharf“, flirtet Grütters.

14.20 Uhr, Schlossbrücke: „Wir sind friedlich, was seid ihr?“, brüllt eine Gruppe Linksruck-Anhänger der Polizei aggressiv entgegen. Die Beamten haben gerade den Pritschenwagen der Gruppe nach Zeitungen untersucht. Die Verteilung der gestrigen Ausgabe der Linksruck-Zeitung hatte die Staatsanwaltschaft untersagt. Auf der ersten Seite war neben dem Konterfei von George W. Bush „Der größte Terrorist der Welt“ zu lesen. „George Bush Terrorist“, skandiert jetzt auch die Gruppe lautstark. Die Polizei findet nichts und zieht schließlich ab. Die Menge beruhigt sich wieder.

15.10 Uhr, Unter den Linden: Vom Bebelplatz bis zum Dom ist die Straße inzwischen für den Autoverkehr gesperrt. An den Rändern reihen sich linke Souvenirstände mit Büchern, Broschüren, Buttons und T-Shirts aneinander, dazwischen bieten Verkäufer Eis, „Bush-Brezel“ und kalte Getränke an. Auf dem Boulevard herrscht friedliche Volksfeststimmung. Am Lustgarten springen nackte Kinder in den Springbrunnen. „Geiles Wetter“, sagt ein junger Typ mit Rastalocken zu seiner Freundin. „Gut, dass die Demo erst heute Abend ist.“ Von der Bühne klingt Ina Deter herüber, vom Alten Museum die ersten Trommelklänge.

15.15 Uhr, Alexanderplatz: Vor der Zentrale der Bankgesellschaft Berlin: Rund 40 junge Leute von Attac rufen „Brecht die Macht der Banken und Konzerne““, schwenken ein Transparent, auf dem die Risikoabschirmung durch das Land Berlin kritisiert wird. „70.000 Fondseigner und ein paar Multis gegen 3,5 Millionen Berliner.“ Die Demonstranten werfen kopierte 20-Euro-Scheine in Luft, die Polizei nimmt daraufhin die Personalien eines Aktivisten auf. Der Vorwurf: Geldfälschung.

15.30 Uhr, Lustgarten: Eine alte Frau mit einer USA- und einer Deutschlandfahne in der Hand zockelt über den Platz. Um den Hals hat sie sich ein Bild von Bush gehängt. In der Mitte bleibt sie stehen, schaut sich um und schüttelt den Kopf. Dann geht sie weiter Richtung Museumsinsel.

15.45 Uhr, vor dem Roten Rathaus: Ein Techno-Wagen startet, obendrauf tanzen junge Leute ausgelassen zu schnellen Beats aus guten Boxen. Ihre Parole dennoch: „Capitalism is boring.“

15.45 Uhr, Schlossbrücke: „Stoppt das Morden, stoppt den Krieg! Intifada bis zum Sieg!“, schallt es von der Brücke. Eine Gruppe Palästinenser schwenkt Fahnen und brüllt Parolen gegen Bush und Scharon. Hinter ihnen hat sich ein Demonstrant einen riesigen Haifisch aus Pappmaschee über den Kopf gestülpt. Der Hai trägt einen Ami-Hut und verschlingt gerade die Erdkugel.

15.45 Uhr, Hackescher Markt: An die hundert Leute haben sich auf dem Vorplatz versammelt. Einige haben sich in Schale geworfen: weißes Hemd, dunkles Jackett, schwarzes Kleid. Um die Ecke stehen mehrere Polizeibullis aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Beamten haben die Beine hochgelegt, rauchen, essen. Plötzlich stürmt ein mit schwarzer Aktentasche bewehrter Dressman los, die Menge folgt. Im Nu bildet sich eine Demonstration. Was die CDU kann, können wir schon lange, hat sich die Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) gedacht und eine „Willkommensmanifestation“ organisiert. „Nie, nie, nie wieder Krieg“, „U-S-A, tralalalala“, „Frieden ist nur was für Mädchen“, skandiert die Menge, die schon mehrere Straßenbahnen zum Halten gebracht hat, als sich die überraschten Polizisten noch nicht einmal ihre Jacken zugeknöpft haben. „Mehr Polizei“, fordern die Demonstranten auf dem Weg zum Alexanderplatz. Am Dom ist Schluss. Die Polizei versperrt die Straße, nur wer sich kontrollieren lässt, kommt durch. Die meisten wenden sich entrüstet ab. „Wir wollen richtige Kontrollen: Helme, Zäune, Knüppeleinsatz.“

16.10 Uhr, Berliner Dom: Zwei Mädchen, geschminkt in den US-Farben, tanzen auf der Straße, schwenken ein Transparent: „Berlin welcomes Bill Clinton.“

18.00 Uhr, Berliner Dom: Rund 10.000 Menschen strömen zum „Trommeln gegen Bush“, organisiert von der „Achse des Friedens“. Auf einer Bühne wird Reggae gespielt. Die Leute tanzen, die Stimmung ist relaxt.

18.20 Uhr, Berliner Dom: Die Demo zieht los und stoppt schon nach 50 Metern. Etwa 10 Personen mit einer Israelfahne stehen am Rand. Es kommt zu Rangeleien zwischen ihnen und demonstrierenden Palästinensern. Kurzzeitig fliegen ein paar Flaschen. Mitdemonstranten rufen: „Keine Gewalt!“ Die Polizei geht dazwischen. Die Fahne wird eingerollt.

19.20 Uhr, Spandauer Damm: In der bunten Demo wird alles mitgeführt, worauf man trommeln kann: Deckel, Pfannen, Pauken, Fässer. Auch Trompeter sorgen für Lautstärke. Aus der Menge ragen Fahnen von Jusos, DKP, Attac, Falken, sowie Brezel in allen Variationen: auf Plakaten, am Galgen oder als Ganzkörperkostüm. Auf Plakaten steht „Bleichgesicht mit gespalterer Zunge spricht“ oder „Hey, Mr Bush, less oil, more Kyoto“. Die Stimmung habe mehr Pep am Vortag, meint ein Polizist, aber die Lage sei auch unberechenbarer, möglichweise weil Bush bald komme. Bis zu 20.000 Teilnehmer, schätzt die Polizei. Teilnehmer zählen gar 50.000.

19.30 Uhr, Alexanderplatz: Vorn marschieren viele Palästinenser. Sie rufen: „Scharon, Terrorist, USA, Terrorist!“ Die Stimmung ist laut, aber trotz allem realtiv friedlich. Die Polizei hält sich im Hintergrund.

BD/GA/MAX/PLU/ROT/SAM/TOF