Chiffren der Mediensteinzeit

Neuer Groove aus alten Chips: Junge Elektronikmusiker aus den USA zeigen, welche ungeahnten musikalischen Möglichkeiten noch in alten Technologien stecken, die heute als überholt gelten

Mit „Neofolkart“ bezeichnen Gruppen wie Crossover und Beigerecords ihren Stil

von HIAS WRBA

An manchen Enden einer jungen amerikanischen Elektroszene macht sich gerade eine gewisse Perfektionismusverweigerung breit: Das New Yorker Duo Crossover etwa lässt seine Booklets mit Schere und Prittstift layouten und im Copyshop vervielfältigen, und auch in musikalischer Hinsicht ist ihr Debüt „Fantasmo“ eine Absage an die gängigen Technologiematerialschlachten. Doch obwohl zu Hause mit dem 4-Spur aufgenommen und nur zum Mastern ins Studio gebracht, klingt das Album wider Erwarten wenig nach Lo-Fi: Keine Knistersamples und rauschigen Gitarrenläufe berieseln den Hörer, sondern feiner aufwändiger Elektrosound der alten Schule, vermengt mit treibendem Gesang, schlauen Texten und gegen Ende der Platte mit deutlichen Ausflügen ins das Subgenre New Dub.

Der Verzicht auf das Allerweltswerkzeug Computer bezeichnet bei Crossover keine Technologiefeindlichkeit, sondern eine Vereinfachung der Produktionsbedingungen, die durchaus Konzept ist. „Heutzutage ist alles so Plastik. Was uns inspiriert, sind alte Techniken, um unsere Ideen umzusetzen, und es macht außerdem viel mehr Spaß, handwerklich zu arbeiten“, meinen fMarc Ingram und Vanessa Tosti. Mit den Mitteln der zu Punkzeiten groß gewordenen DIY-Bewegung werkeln die beiden an ihrem elektronischen Mikrokosmos und bezeichnen das Ergebnis gerne als „Neofolkart“.

Ein Begriff, der auch ganz formidabel auf das amerikanische Musiker- und Künstlerkollektiv Beigerecords passen würde. Unter dem Namen „the 8-bit construction kit“ veröffentlichen sie Computermusik mit entscheidendem Haken. Alle Tracks wurden auf alten 8-bit-Chips direkt in 6502 Assembler, einer Programmiersprache aus der digitalen Steinzeit, geschrieben, was einen immensen Aufwand bedeutete: tagelanges Tüfteln für ein paar Minuten Musik. Die New York Times urteilte entsprechend, ihr Debüt sei ein „ … testimony of nerdiness …“, und Kollege Matthew Herbert bat sie prompt um zukünftige Zusammenarbeit.

Die radikale Absage an gängige Musiksoftware ist gespeist von einer gesunden Skepsis gegenüber allzu festgefahrenen Produktionsweisen. „Mit der meisten Consumersoftwear ist ein wirklicher Dialog zwischen deinen Intentionen und den Eigenschaften der Maschine unmöglich“, sagt Corey Arcangel, Programmierer bei Beige, um dann die Philosophie der Clique genauer zu erläutern: „Es ist eine Mischung aus Misstrauen gegenüber diesen Tools und unserem Interesse daran, wie der Computer wirklich funktioniert, bevor man all dieses Zeug drüberstülpt. Ein angenehmer Nebeneffekt ist, dass die Maschinen, auf denen wir arbeiten, normalerweise so gut wie umsonst sind. Man kann auf den Flohmarkt gehen und sich einfach einen Haufen von dem Zeug besorgen. Du musst dir kein Equipment für 5.000 Dollar kaufen. Außerdem sind die Grenzen, in denen man arbeitet, von der Kapazität der Chips bestimmt und nicht von der Frage, ob es für ein Unternehmen wirtschaftlich interessant ist, das eine oder andere Feature einzubauen.“

Auf Platte gebannt, hebt sich ihr Sound dann auch wohltuend ab vom bis vor kurzem grassierenden 8-bit-Hype. Sie entlocken den Chips forsche Beats, die sich mehr an Aphex Twin anlehnen als am infantilen Gedudel gestriger Computerspiele. Die Technik mag veraltet sein und auch so klingen. Doch Struktur und Arrangement der Tracks verfallen keiner romantisch verbrämten Nostalgie, sondern bestechen durch einen intelligenten, mitreißenden Groove. Ein nicht unwesentlicher Faktor dürfte dabei sein, dass fast alle Beigeheads eine klassische Ausbildung auf einer Musikhochschule genossen haben.

Fortgeführt wird ihr reduziertes Hackertum auch in Form von Videoinstallationen: Umprogrammierte Chips aus überholten Spielkonsolen loopen gepixelte Minifilmchen, die dank der beschränkten Mittel und der grobschlächtigen Ästhetik fast etwas rührend Unbeholfenes haben. Dass diverse Simulatoren ohne Weiteres in der Lage wären, all das genau so auf einem modernen Rechner zu realisieren, steht außer Frage. Aber das Wie ist bei Beigerecords eben mindestens genauso wichtig wie das Was. Und darin liegt auch die Subversion ihres Schaffens: Indem sie aus Schrott bezaubernde Musik und Kunst machen, führen sie den branchenüblichen Kleinkrieg mit der Spezialeffektdatenbank ad absurdum.

Der Schritt in die Vergangenheit, den sie, wie auch Crossover, dabei gehen, ist kein durchsichtiges Retrogehabe, sondern eine Auseinandersetzung mit überholten Medien, gepaart mit den Ansprüchen der Jetztzeit. Charmant ist das allemal und zeigt darüber hinaus, wie viele ungeahnte Möglichkeiten noch in alten Technologien schlummern. Sich dem Perfektionismus und der Hochglanzästhetik nicht nur inhaltlich, sondern konsequenterweise auch formal zu entziehen, ist somit subkulturelle Archäologie als auch Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit. Die Neofolkart, wenn man beim Begriff bleibt, lässt noch auf so manch spannende Kollision zwischen gestern und morgen hoffen. Denn dem kopierten Layout ist, wie dem programmierten Chip, eines eigen: eine Handschrift, die den Unterschied macht.

Crossover: Fantasmo (Gigolo Records); The 8-bit construction set: Atari vs. Commodore64 (Beige Records)