zwischen den rillen
: Soul Survivors: Richie Havens und Terry Callier

Die Erde ist nur ein Boxenstopp

Er ist endlos getourt. Greenwich Village, Newport und Colleges, wie Bob Dylan. Aber erst nach vier Schallplatten gab es für Richie Havens den richtigen Ort zur richtigen Zeit und den richtigen Gig, bei dem er mit dem richtigen Lied einen ziemlich weltgewichtigen Eindruck machen konnte.

Bob Dylan kam nie bis Woodstock, Richie Havens schon. Als er dort „Freedom“, vor allem immer wieder die Zeile „Sometimes I feel like a motherless child“ sang oder besser: ächzte, keuchte, puchte und stöhnte, war es nicht nur um die weiße Folk-Bewegung geschehen, da hatte auch die afroamerikanische Community der USA und in Übersee plötzlich eine Identifikationsfigur gefunden.

Kein Zweifel, Richie Havens in seinem nass geschwitzten orangefarbenen Kaftan war damals das, was heute vielleicht Manu Chao für „No Globo“ ist: eine Stimme von unten, die den Mainstream mobilisieren kann. Dass auch Sly Stone und Jimi Hendrix in Woodstock gespielt haben, ist im Nachhinein jedenfalls fast schon vergessen angesichts der Performance-Predigt von Havens, die man aus dem Film kennt.

Kaftan trägt der 61-Jährige noch heute. Auf dem Cover seiner neuen CD „Wishing Well“ sieht er darin wie ein indischer Guru (oder islamischer Mullah?) aus, der lange graue Bart tut ein Übriges.

Entsprechend geht es bei Richie Havens nicht unbedingt weltlich zu, wenn er von Leidenschaft und einer Liebe singt, die gar nicht jünger ist als der Hass, in dem wir miteinander leben. Mit solcherlei Erkenntnisreimen lehnt er sich weit raus aus der Sphäre des Alltäglichen und hört den Stimmen zu, die, glaubt man ihm, tief innen wohnen. Allerdings sind deren Verkündigungen auch für ihn schwer deutbar, wie das Rätsel der Sphinx: In „Slow Down“ singt er davon, dass die „echoes“ in seinem Kopf Überstunden machen, und in „Alone Together“ löst sich gar der ganze Richie Havens auf, weil doch alle Hingabe ans Leben immer auch eine Weggabe ist.

Dass mag nach esoterischem Spuk klingen, würde sich die Musik nicht stets und vollends an der Vielfalt im Diesseits orientieren. Mal philosophiert Richie Havens über einer sentimentalen Countryschleife, mal nutzt er türkische Geigen und Bambusflöten zum Schulterschluss mit der Weltmusik. Und wenn der Beat dann auch noch zum inständig herbeigesehnten Soul findet, den Richie Havens der Menschheit wünscht, wird sogar etwas sehr Tanzbares daraus.

Vor ein paar Monaten erst hat er deshalb mit Groove Armada den Song „Little by little“ aufgenommen, und das DJ-Duo Thievery Corporation hat eines seiner Stücke für ihren Verve-Sampler remixt. Offenbar geht bei Havens im Alter noch einiges, nicht nur das hat er mit Dylan gemeinsam.

Auch für Terry Callier interessieren sich die Folkfreunde unter den Dancefloorspezialisten. Nachdem der vom Uptempo-Soul aus Chicago zum perlenkettentragenden Spiritjazz-Botschafter gewandelte Singer/Songwriter zuletzt eher mit gemütlichen Balladen unterwegs war, hat er sich für „Speak Your Peace“ Marc Mac von 4 Hero als Produzenten geholt. Der zarte Schmelz seiner Stimme ist dabei erhalten geblieben, aber die Rhythmusgruppe ackert hart, wie es sich eben innerhalb der zeitgenössischen Clubkultur ziemt. Vielleicht klappt es diesmal sogar mit MTV: Für die Singleauskoppelung „Brother to Brother“ hat Callier sich den Berufsmod Paul Weller an Bord geholt, der mit ihm den Refrain im Duett summt; bei „Turn This Mutha“ ist es gleich ein kompletter Schulchor, der gegen den CIA und die Queen protestiert.

In solchen Momenten ist Callier ganz bei sich: Aus vollem Herzen dem Kampf gegen die Ungerechtigkeiten eine Stimme geben – und trotzdem eine „heavenly“ Zuversicht zeigen, weil ja noch nichts entschieden ist, weil die Zeit auf der Erde nur ein Boxenstopp ist für den ewig Reisenden.

Wie es auf der anderen Seite aussieht, weiß auch Terry Callier nicht. Aber die Vorfreude auf all die paradiesischen Zustände, die da noch auf uns, die wir im Hier und Jetzt müßig und schuldbeladen vor uns hinwerkeln, möglicherweise warten, hört sich bei ihm schon mal göttlich gut an.

HARALD FRICKE

Richie Havens: „Wishing Well“ (Evangeline Records; Sony)Terry Callier: „Speak your peace“ (clearspot/EFA)