Die finstere Macht des Betütelns

Vätertagung in Berlin: Männer suchen neues Rollenbild – und verzweifeln an angeblicher Übermacht der Frauen

BERLIN taz ■ Da haben die Frauen doch glatt ihr eigenes Jahrhundert verschlafen. Nicht das 21. nämlich gehört den Frauen, wie tumbe Trendforscher behaupten. Nein, es war das 20. Jahrhundert. In Letzterem nämlich wurde der emotionale, erzieherische und spirituelle Auszug des Mannes aus der Familie vollendet. Was die fortschreitende Arbeitsteilung mehrere Jahrhunderte lang anbahnte, machte das bürgerliche Scheidungs- und Sorgerecht perfekt: Immer mehr Väter verlassen die Familie – übrig bleibt die Mutter mit den Kindern. Im Haus also hat sie uneingeschränkte Macht, so sehen es verletzte Väter. Und von denen gab es nicht wenige auf der Tagung „Vater werden, Vater sein, Vater bleiben“ am Wochenende in der Berliner Böll-Stiftung.

Die Mutter herrscht allein, missbraucht ihre Söhne emotional und verweigert schließlich dem Vater noch das Umgangsrecht. Was diese Vaterlosigkeit in den Gesellschaften des 20. Jahrhunderts anrichtete, kann man an zwei Weltkriegen und der Erfindung der Atombombe sehen, so der Tenor des Vortrags von Dieter Lenzen, Professor für die Philosophie der Pädagogik. So viel Vateremphase („Sind Sie bereit, wieder Verantwortung zu übernehmen?“) lässt schon mal darüber hinwegsehen, dass ein bisschen Patriarchat wohl doch noch existierte, auch im „Jahrhundert der Frauen“.

Lore Maria Peschel-Gutzeit, ehemalige Familienrichterin und Justizsenatorin, referierte kurz die erste Fassung des BGB in einer Zeit, in der Lenzen schon die absolute Macht der Frau diagnostiziert: das Züchtigungsrecht des Vaters gegenüber Frau und Kindern, sein Entscheidungsrecht in allen wichtigen Angelegenheiten. „Die Frau“, so Peschel-Gutzeit, „durfte die Kinder betüteln“, das war’s. Doch die finstere Macht des „Betütelns“ scheinen die Frauen durchweg zu unterschätzen. Geschiedene Väter, die gern mehr für ihre Kinder wären als nur Erzeuger, klagten also die Übermacht der Mutter an, die sich auch in Sorgerechtsentscheidungen der Familiengerichte ausdrückt.

Peschel-Gutzeit versuchte auszugleichen: Männer zahlten nach der Scheidung oft keinen Unterhalt. Frauen würden ihnen die Kinder vorenthalten. Ein Machtkampf also, der durchaus zwei Seiten haben kann.

Der Eindruck drängt sich auf, dass Väter ihre Kinderliebe erst entdecken, wenn ihnen der Umgang mit dem Spross verweigert wird. So ergab eine nicht repräsentative Studie unter 30-jährigen Rostocker Jungmännern, dass der heißeste Kinderwunsch, der im Vorhinein ausgedrückt wurde, ungefähr so lautet: Na ja, gehört ja irgendwie dazu, und vielleicht ist man sonst am Ende einsam. Die meisten überließen lieber der Partnerin die Entscheidung, nach dem Motto: Wenn sie es haben will, kann sie hinterher auch nicht meckern, wenn es viel Arbeit macht. Nicht so die Männer auf der Vätertagung. Sie diskutierten nicht nur die frühkindliche Übermacht der Mutter. Sie bekannten auch den Gebärneid des Mannes, die Ohnmachtsgefühle des Vaters während der Geburt und seine Hilflosigkeit, wenn der Frau die ganze Kinderkompetenz qua Natur zuzukommen scheint. Sie diskutierten, dass Söhne, die eine übermächtige Mutter erlebten, sich besonders gerne aus der Erziehung ihrer eigenen Kinder heraushalten. Und es gab genug Teilnehmer, die nicht durch das Beschwören archaischer Vätermacht auf Rache sannen, sondern sich Gedanken über Teilzeitmodelle und ihre Finanzierbarkeit machten.

Doch immer mal wieder gerieten furchtbar schlichte Geschlechterbilder in die Vorträge: Die frühe Mutterbeziehung ist das alles gewährende Paradies gewesen, für die Vertreibung aus demselben werden Söhne Frauen immer hassen, predigte etwa der Bremer Geschlechterforscher Gerhard Amendt. Da mussten nicht nur die wenigen Frauen, sondern auch die Männer kichern. Aber die Väterbewegung hat ja auch gerade erst begonnen. HEIDE OESTREICH