Komplexes Kino

In der Reihe „Play It Again“: Hayao Miyazakis atemberaubender Anime „Prinzessin Mononoke“

Eine der größten Überraschungen des bisherigen Kinojahres war vielleicht die Verleihung eines Goldenen Bären an Hayao Miyazaki. Das überraschte nicht nur die ruhmreiche Riege der Rezensenten, deren im Tagesspiegel begleitend zur Berlinale veröffentlichten Ranglisten ganz andere Filme favorisierten. Geister, Kobolde und Zwerge, und das alles noch gezeichnet? Der Stoff, aus dem Miyazakis Spirited Away gemacht ist, bietet auf den ersten herdentriebgesteuerten Blick kaum politischen Pfeffer und gar keine Schauspielkunst, warum also diese Auszeichnung?

Bevor sich demnächst ein Verleiher ein Herz fasst und Spirited Away in die Kinos bringt, bleibt dem interessierten Zuschauer nur der Blick zurück auf Miyazakis letzten Animationsfilm. Prinzessin Mononoke erzählt von einem jungen Helden, der in die Welt hinauszieht, um das Böse zu besiegen. Auf den Spuren eines Dämons gelangt der junge Ashitaka zu einer Siedlung am Rande eines Waldes, in dem ein mächtiger Gott in Hirschgestalt über die noch unberührte Natur herrscht. Doch Eboshi, die Herrin einer Eisenhütte, lässt die Wälder abholzen, um ihre gewaltigen Öfen befeuern zu können. Ein blutiger Krieg steht bevor, zwischen den Tieren des Waldes, die sich um ihren Lebensraum gebracht sehen, und den mit Gewehren ausgerüsteten Menschen, deren Unterhalt von der Eisenproduktion und damit den Ressourcen des Waldes abhängig ist.

Was sich wie eine alte Heldensage anhört, entpuppt sich schnell als eine selbstbewusste ökologische Fabel über den Konflikt zwischen Zivilisation und Natur. Ashitaka ist ein Grenzgänger zwischen beiden Welten, ein unbedingter Verfechter der Rechte der Tiere, gleichzeitig aber ein verständnisvoller Beobachter der komplizierten Verhältnisse in der Siedlung. Keineswegs nur von Habgier getrieben, entpuppt sich auch Eboshi als moderne Figur, die in ihrer Fabrik freigekaufte Prostituierte und Bettler beschäftigt. Die Bewohnerinnen der Siedlung gehören zu den selbstbewusstesten Frauenfiguren des Animationskinos, die ihre Arbeit in der Eisenhütte durchaus als emanzipatorisch empfinden. Auf der anderen Seite steht das von Wölfen großgezogene Mädchen San, die zur wilden Prinzessin Mononoke herangewachsen ist und einen erbitterten Kampf gegen Eboshi führt.

Der Film verbindet auf atemberaubende Weise episches Erzählkino mit einer äußerst modernen Lust an der Ausdifferenzierung von Motivationen und dem Verzicht auf einfache Lösungen. Selbst die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen San und Ashitaka, die in einem Disney-Film zur harmonischen Lösung aller Antagonismen gedient hätte, scheitert an den geschilderten Gegensätzen. Die komplexe Story, die eine Unmenge Figuren, Schauplätze und Sagenmotive miteinander zu verbinden versteht, wird lebendig durch eine Animationskunst, von der sich auch westliche Zeichner inspirieren lassen. „Es vergeht nicht ein Tag, an dem ich nicht auf Techniken zurückgreife, die ich beim Studium seiner Filme gelernt habe“, sagt John Lasseter (Toy Story) über sein großes Vorbild Hayao Miyazaki.

Volker Hummel

Do, 22.30 Uhr + Fr, 17 Uhr, Abaton, Sa + So, 18 Uhr, 3001, Di, 17 Uhr + Mi, 22.30 Uhr, Zeise