New York auf Pilzen

Sonischer Befreiungsschlag: Der Rapper El-P zählte zu den Säulenheiligen des Underground-HipHop. Mit seinem Solo-Album dekonstruiert er das Genre und öffnet es wieder für persönlichen Ausdruck

von UH-YOUNG KIM

Credibility ist eine der begehrtesten Eigenschaften im Musikgeschäft. Sie ist nicht käuflich, hilft aber Platten zu verkaufen. Dahinter steckt meist der Mythos der Künstlerpersönlichkeit, die sich durch harte, ehrliche Arbeit Respekt verschafft hat. Respekt wiederum ist einer der idealistischsten Werte in der HipHop-Kultur. Den verdienen sich Rapper nicht durch Hochglanzmusikvideos, sondern in erster Linie durch handwerkliche Fähigkeiten.

James Melines liebster Ausspruch ist, dass er einen Scheiß drauf gibt. Unter dem Rapper-Pseudonym El-P hat es der bullige New Yorker in den letzten fünf Jahren zwar geschafft, aus der unüberschaubaren Menge von HipHop-Acts heraus einen weltweiten Kult als hardest working Rapper, Produzent und Labelbetreiber um sich aufzubauen. Aber allzu viel bildet der Endzwanziger sich nicht auf seinen Ruf ein, eine der credibelsten und respektiertesten Figuren im Rap abseits der Mainstream-Charts zu sein. Denn was ist, wenn die Dinge für ihn mal nicht so gut laufen wie im Moment?

Kritik und Kunstform

El-P hat mit seiner damaligen Gruppe Company Flow der Bewegung des so genannten Independent-HipHop die Initialzündung gegeben. Nachdem MTV begonnen hatte, HipHop als materialistisches Utopia feuchter Männerfantasien zu verkaufen, kamen auf Company Flows Debütalbum von 1997, „Funcrusher Plus“, wieder Raps mit Ecken und Kanten zu Wort. Von unten kämpfte die Gruppe in reduzierter Do-it-yourself-Manier gegen das Bild von in Luxusautos fahrenden Rappern, die die Vorstellung von HipHop dominierten. Denn was mit Block-Partys Anfang der Siebziger begann, hat sich mittlerweile zum millionenschweren Unterhaltungsgeschäft entwickelt.

Währenddessen ist es stiller um den popkulturellen Diskurs über Beats und Reime als Ausdrucksmittel marginalisierter Gruppen geworden. Kaum jemand sprach in den letzten Jahren mehr von verantwortungsbewussten HipHop-Politics, der sozialkritischen Botschaft von der Straße, oder – wie es Public Enemys Rapper Chuck D einst formulierte – von HipHop als dem „CNN für Schwarze“. Bis auf wenige Ausnahmen fehlte es in den USA an radikalen Stimmen – zu groß war für junge Rapper die Verlockung auf das schnelle Geld, und alle Kanäle schalteten auf Kommerz.

Als die explizit politisch ausgerichtete Seite vom HipHop der Endachtziger keine Nachfolger fand, riefen Labels und Musikmagazine Mitte der Neunziger als Gegenpol zur kommerziellen Verflachung der Musik die Independent-HipHop-Bewegung ins Leben. Zusammengefasst wurden darin alle Acts, die nicht dem TV-standardisierten Stil entsprachen, und keinen Vertrag bei einem Major-Label hatten. Stilistisch war das unübersichtliche Gemenge aus HipHop-Aktivisten in ihren vielseitigen Strömungen nicht fassbar, einzig verbindend waren ihre Passion für HipHop als Kunstform und die Kritik an ihren Gegnern.

Die Feinde der „wahren“ Kultur waren schnell anvisiert. Es ging nach der Gangster-Rap-Schwemme aus Kalifornien, die HipHop Anfang der Neunziger in den Mainstream brachte, gegen die Stars des so genannten Corporate Rap, der in der Folgezeit Rockmusik als rentabelste Ware auf dem Popmarkt abgelöst hatte. „Keep it real“ lautete ein Motto der Independent-Bewegung, mit dem in aggressiven Schmähreden gegen populäre Rapper Verantwortung gegenüber der Kunstform gepredigt wurde.

Da auch eine Underground-Bewegung nicht ohne Stars auskommt, wurde El-P mit seinem Credo „Independent as fuck“ zum Säulenheiligen des randständigen HipHop stilisiert. Seitdem steht sein Name für die wiederentdeckte Kompromisslosigkeit, die künstlerische Freiheit nicht von Profiten verkaufter Tonträger abhängig macht. El-P repräsentierte das Modell des Selfmademan, der die textliche, musikalische und geschäftliche Kontrolle über seine Produktionen inne hat. Kurze Zeit später allerdings distanzierte er sich von dem Independent- Hype, der besonders von seinem damaligen Label Rawkus propagiert wurde. Rawkus galt lange als das Vorzeige-Indie-Label, das das neu erwachte afrozentristische Gewissen von HipHop um Mos Def und Talib Kweli, die Talentschmiede der Lyricist Lounge und eben die Stinkefinger der Branche Company Flow unter Vertrag hatte. Unter dem Banner der „Rettung von HipHop“ erschloss das mit Medienmogul Rupert Murdoch assoziierte Label den alternativen Markt für Rap-Platten. „Independent“ gerann erst zur parolenhaften Haltung und schließlich zur sinnentleerten Phrase.

Marke „Independent“

Als Meline merkte, dass seine Arbeit auf einen Schlachtruf reduziert wurde, verließ er Rawkus und brachte sein eigenes Label Definitive Jux an den Start. Seit 2000 produziert und veröffentlicht er dort Acts wie die dystopischen Reimpropheten von Cannibal Ox, den zungendrehenden Arbeiterdichter Aesop Rock und nun auch sein lang erwartetes Solodebüt. Auf „Fantastic Damage“ (Def Jux/Zomba) emanzipiert sich El-P endgültig vom Markenkonstrukt Independent HipHop, das den Blick auf seine kreativen Fähigkeiten verstellte.

Das Album trägt die urbane Dichte und Paranoia von New York in sich. Es ist ein sonischer Befreiungsschlag, in dem Bässe in Zeitlupe tief im Magen rumoren, hymnische Synthesizerwellen auf heulende Gitarrenschleifen treffen und Snares zu physischen Statements in der energisierenden Darkness seiner Beats werden. Die Räume, die El-Ps Produktionen aufmachen, erinnern an das Setting von „Blade Runner“, seinem Lieblingsfilm: „Sehr schön und gleichzeitig sehr abgefuckt und beschädigt. Das ist mein Ansatz für Musik. Ich kombiniere die epische Weite der oberen Hemisphäre mit dem Dreck auf dem Boden.“

Textlich hat er die Diskussion um „wahren“ und „falschen“ HipHop hinter sich gelassen, stattdessen durchzieht eine autobiografische Linie sowie ein gesellschaftlich reflexiver Zug das Album, der „die Spannung und den Spirit unserer Generation einfängt“. Der selbst erklärte Manisch-Depressive mit dem provozierenden Blick in den Augen lässt uns durch komplexe verbale Schemata auf eine verdrehte, aber mögliche Welt blicken.

Prügel des Stiefvaters

Im Track „Lazerface“ ironisiert El-P die großen Versprechen der Popkultur. Inspiriert von einem Spaziergang durch das nächtliche New York auf Pilzen halluziniert der Rapper über die bright lights der Stadt und die Erwartungen, die sie hervorrufen: „Alles ist beleuchtet mit diesen strahlenden Lichtern. Seht! Die bright lights! Wie sie leuchten! Rennt alle hin! Wir lieben euch! Was ist es? – Es ist nichts. Da gibt es absolut gar nichts.“ Mitten im Track dekonstruiert er die im R-’n’-B-Pop häufig verwendete Ansprache an die Angebetete: „Girl, you know …“, um sie dann nicht gerade zimperlich in den Vorhof der Apokalypse zu schicken. Aus „Stepfather Factory“ wiederum sprechen sehr persönliche Erfahrungen. Die Prügel seines Stiefvaters kosteten ihm schon auf „Funcrusher Plus“ den „Last Good Sleep“. In der Fortsetzung dieses im Rap immer seltener anzutreffenden schmerzvollen und aufrichtigen Ausdrucks verwendet El-P für das Problem gewalttätiger Familienväter die Metapher eines Stiefvater-Roboters. Mit krudem Humor bekommt er so den Dreh, um nickende Köpfe aus der Monotonie des Beat-Loops zu reißen.

Als Alternative zum Mainstream-Rap hat der Hype um die Independent-HipHop-Bewegung die Aufmerksamkeit wieder mehr an die Ränder geführt, in deren Klima sich die sperrige Komplexität eines El-Ps positionieren konnte.

Dass aber noch lange nicht alles „innovativ“ oder „rebellisch“ sein muss, was sich „unabhängig“ nennt, zeigt die Mehrheit der Veröffentlichungen aus der Independent-Szene. Hier wird HipHop in selbstreferenziellen Wiederholungen als L’art pour l’art zelebriert und verlässt selten die Mikrokosmen der eingeschworenen Fangemeinden. Der Independent-HipHop-König, der nie einer sein wollte, ist mit seinem Soloalbum der vermeintlichen Bewegung entwachsen.

Sich in der Rezeption auf den allgemeinen Feindbildern der Underground-Mainstream-Debatte auszuruhen, wird dem Ausnahmetalent von El-P und dem gesellschaftskritischen Inhalt von „Fantastic Damage“ nicht gerecht. Mit der verstörenden Wucht der Worte und dem schockierenden Chaos der Beats fordert er in seiner sehr direkten Art dazu auf, neue, unformatierte und letzlich menschlichere Kontexte für den Stil und die Inhalte seiner Raps zu erschließen, und genauer auf deren Semantik zu achten. Und die meint nicht ein Leben für HipHop, sondern HipHop über das Leben.